Mutiertes Coronavirus löst Verunsicherung aus
22. Dezember 2020Das Bundesgesundheitsministerium hat angesichts der Mutationen des Coronavirus ein generelles Beförderungsverbot für Reisende aus Großbritannien, Nordirland und Südafrika verhängt. "Solange es geht, wollen wir verhindern, dass sich eventuell gefährlichere Virus-Varianten nach Kontinentaleuropa ausbreiten", begründete Gesundheitsminister Jens Spahn den Schritt. Das Verbot sei eine Vorsichtsmaßnahme, "bis wir mehr über die berichteten Coronavirus-Mutationen in beiden Ländern wissen".
Ab Donnerstag müssen sich auch diejenigen, die sich in den vergangenen zehn Tagen vor der Einreise nach Deutschland in Großbritannien, Nordirland oder Südafrika aufgehalten haben, auf das Coronavirus testen lassen. Die bestehende Quarantänepflicht bei Einreisen aus Risikogebieten gelte unbenommen, hob das Ministerium hervor.
Frankreich hatte bereits am Sonntagabend die Grenzen zu Großbritannien geschlossen. Das betrifft auch Fährverbindungen zwischen Dover und Calais sowie den Eurotunnel. Andere EU-Mitglieder wie Spanien und Portugal kappten ebenfalls die Verbindungen nach Großbritannien.
Briten wegen Corona-Mutation vielerorts nicht willkommen
Weltweit zogen zahlreiche weitere Länder nach. Art, Zeit und Dauer der Beschränkungen sind allerdings unterschiedlich. Russland und Indien gehören zu den Staaten, die für Briten nicht mehr erreichbar sind. Die indische Regierung erklärte, alle Flüge von Großbritannien nach Indien würden bis zum Jahresende ausgesetzt. Das Ministerium für Zivilluftfahrt teilte mit, Transit-Passagiere aus Großbritannien müssten sich nach ihrer Ankunft verpflichtenden Corona-Tests unterziehen.
Israel und einige arabische Staaten reagierten in seltener Einmütigkeit noch restriktiver. Sie stellen als Reaktion auf die in Großbritannien entdeckte Variante des Coronavirus den gesamten internationalen Flugverkehr über ihre Airports ein, verhängen Quarantäne-Maßnahmen oder schließen ihre Grenzen gleich komplett.
Zusätzliche Quarantäne-Auflagen
Saudi-Arabien und das arabische Sultanat Oman haben alle Grenzen für eine Woche abgeriegelt. Die Regierung in Riad hatte zusätzlich Quarantäne-Auflagen für alle Menschen verhängt, die nach dem 7. Dezember aus Europa und einigen anderen Gebieten eingereist waren. Kuwait setzt bis zum 1. Januar alle kommerziellen Flüge vom Internationalen Flughafen in Kuwait-Stadt aus, wie die Luftfahrtbehörde mitteilte.
Auch weitere lateinamerikanische Länder schlossen sich an: Paraguay stoppte die Einreise von Besuchern aus Großbritannien. Uruguay machte seine Grenzen zu Wasser, zu Lande und in der Luft mit Ausnahmen für humanitäre Hilfe und Frachttransporte dicht. Am Sonntag hatten bereits Argentinien, Kolumbien, Chile und Peru Flüge nach und aus dem Vereinigten Königreich ausgesetzt.
Virologen noch am Anfang der Analyse
Das mutierte Virus ist nach britischen Behördenangaben bis zu 70 Prozent ansteckender als die Standardvariante und verbreitet sich vor allem in London und Südostengland rasant. Für die Region ordneten die Behörden einen Shutdown mit Ausgangs- und Reisesperren an.
Der Infektiologe und Virusexperte Peter Kremsner von der Universität Tübingen sagte derweil der Deutschen Welle, er sehe keinen Grund, Reisen nach oder aus Großbritannien zu beschränken. "Es gibt bereits Hunderte von Mutationen und Varianten, wenn man so will. Dies ist eine neue. Und ob sie wirklich ansteckender oder infektiöser ist, wie [der britische Premierminister Boris] Johnson gestern sagte, weiß ich nicht." Der Beweis müsse hier noch erbracht werden. Er könne nicht verstehen, warum die neue Variante so beängstigend wirke. Aus seiner Sicht gebe es dafür keine Begründung. Er sehe zudem nicht, warum zum Beispiel Impfstoffe nicht funktionieren sollten.
In der Nacht zum Dienstag veröffentlichten britische Forschende weitere Zwischenergebnisse zu der neuen Mutation. Der SPD-Gesundheitspolitiker und Epidemiologe Karl Lauterbach kommentierte die Erkenntnisse als "Grund zur Sorge": Die Analyse lege nahe, dass die Mutation deutlich ansteckender sei.
Der Charité-Virologe und Coronavirus-Spezialist Christian Drosten schrieb in diesem Zusammenhang: "Das sieht leider nicht gut aus."
Der britische Premier äußerte sich unterdessen optimistisch, dass zumindest die aktuellen Probleme im Warenverkehr mit der EU "in den nächsten Stunden" gelöst werden können. Es müsse sichergestellt werden, dass Lastwagen in beide Richtungen "COVID-frei" fahren könnten. Johnson versuchte die Bevölkerung zu beruhigen: "Die große Mehrheit von Lebensmitteln, Medikamenten und Versorgungsgütern erreicht uns wie immer."
qu/ehl/jj (dpa, afp, rtr, dw)