Museen: Corona-Krise behindert koloniale Aufarbeitung
6. Juli 2020Im Zuge der "Black Lives Matter"-Proteste, die sich in den USA gegen Polizeigewalt und Rassismus richten, entstand auch in Belgien eine Protestbewegung. Diese kritisiert vor allem städtische Symbole, die den bislang wenig aufgearbeiteten Kolonialismus verherrlichen. Museen der Kulturstadt Brüssel solidarisieren sich nun mit dem Statement "Museen sind nicht neutral".
Ähnlich wie die kontroversen Statuen von Leopold II., die trotz der brutalen Kolonialherrschaft des Königs an vielen Orten in Belgien weiterhin auf ihren Sockeln stehen, ist auch die Herkunft vieler Kunstwerke eng mit der Kolonialgeschichte verbunden. Immer mehr Museen versuchen Aufklärungsarbeit über ihre Werke zu leisten, die während der Kolonialzeit geplündert und dann in westlichen Museen ausgestellt wurden.
Museen bedroht
Diese wichtige Aufklärungsarbeit könnte nun durch die monatelangen Schließungen aller Museen in Brüssel bedroht sein. Guido Gryseels, der Direktor des Afrikamuseums, fürchtet, dass seine Einrichtung rund 1,5 Millionen Euro durch die Konsequenzen des Lockdowns verlieren könnte. Das ist für die Hälfte eines Jahreseinkommens unter normalen Umständen.
Die belgische Regierung würde aber nur für die Sonderausgaben durch die Wiedereröffnung im Mai 2020 einen Zuschuss zahlen, sagt der Direktor. "Wir haben ständige Kosten, diese sind während der Krise sogar noch gestiegen, aber wir hatten gleichzeitig einen starken Einnahmerückgang."
Für seine Einkommensverluste muss das Museum selbst aufkommen - aus seinen Reserven. Die waren eigentlich für große, neue Pläne vorgesehen, Bildungsprojekte zur belgischen Kolonialgeschichte beispielsweise. Gerade jetzt, wo sich die Unabhängigkeit des Kongo zum 60.Mal gejährt hat, ist das Interesse daran groß.
Fehlende Touristen, kaum Umsätze
Die strengen Social Distancing-Beschränkungen, unter denen das Afrikamuseum inzwischen wieder öffnen durfte, schlagen ebenfalls stark zu Buche. Im Vergleich zum Vorjahr kommen nur noch rund ein Viertel der Besucher. Gruppen und Führungen sind derzeit nicht erlaubt, was auch für Schulklassen gilt. Sie machen aber normalerweise einen großen Teil des Museumsbetriebs aus. "Für viele Kinder sind wir die erste Begegnung mit Afrika", sagt Gryseels.
Auch Touristen sorgen bei den größeren Brüsseler Museen für einen großen Teil des Umsatzes. Sie stellen nach offiziellen Zahlen rund die Hälfte der Besucher der Königlichen Museen für Schöne Künste. Im Afrikamuseum sind es 20 Prozent aller Besucher, die hauptsächlich aus Frankreich und den Niederlanden anreisen.
Das bei Touristen besonders beliebte Brüsseler Comic-Museum treffen die Corona-Reisebeschränkungen am härtesten. Mehr als 80 Prozent der Besucher kommen von außerhalb, die Hälfte von ihnen aus Frankreich. "Vor allem die Öffnung der französischen Grenze wird uns sehr helfen", hofft Remy Gauthier, Pressesprecher des Museums.
Das Comic-Museum wird im Gegensatz zu Brüssels Afrikamuseum oder dem Kulturzentrum Palais des Beaux-Arts (BOZAR) nicht staatlich gefördert. Als private Einrichtung sind hier Tickets die Haupteinnahmequelle. "Es ist hart. Wir hatten ein gutes Eröffnungswochenende mit bis zu 500 Besuchern, aber unter der Woche gibt es bisher kaum Publikum", meint Gauthier.
Museumsbesuch digital
Guido Gryseels vom Afrikamuseum sieht die Herausforderungen für den Kultursektor durch die Corona-Maßnahmen jedoch auch als Chance für die digitale Museumsarbeit. Er ließ zum Beispiel Webinare zu den Themen der "Black Lives Matter"-Bewegung organisieren. Im Gegensatz zu physischen Diskussionsrunden konnten dabei Menschen aus allen Ecken der Welt teilnehmen. Auch nach der vollständigen Wiedereröffnung im Herbst sollen die Online-Seminare weiterhin stattfinden.
In Zeiten, in denen viele sich im Home Office nur vom Schreibtisch zur Couch bewegen, sorgt Kunst im Alltag auch für das seelische Wohlbefinden. "Kunst ist ein Grundbedürfnis. Wir bringen den Menschen sehr viel Freude", sagt Barbara Porteman, Sprecherin des Kunstzentrums BOZAR. Sie wie auch ihr Kollege Gryseels erzählen, dass ihre Besucher sehr glücklich und erpicht darauf sind, in die Museen zurückzukehren. Viele zeigen dabei besonderes Interesse an der belgischen Kolonialgeschichte. "Familien kommen nun häufiger mit ihren Kindern und erzählen den Mitarbeitern, dass sie die Museen vermisst haben", sagt Porteman.