Mursi-Anhänger geben nicht auf
5. Juli 2013Ihre Gesichter sind betrübt und nachdenklich: In Nasr City, einem Außenbezirk Kairos, demonstrieren nach wie vor Zehntausende Islamisten für ihren gestürzten Präsidenten. Doch die Stimmung ist gedrückt. Der Anheizer auf der Rednerbühne gibt sich alle Mühe, die Menge anzustacheln, doch die Reaktion des Publikums bleibt im Vergleich zu den Tagen davor verhalten.
Einen Tag nach dem Sturz ihres Präsidenten Mohammed Mursi können viele nicht glauben, was passiert ist. Hinzu kommt die Erwartung von Angriffen auf das Protestgelände und weiteren Verhaftungen ihrer Führer. Deutlich mehr Mursi-Anhänger als noch vor einigen Tagen tragen Helme und Knüppel, um das Gelände im Fall des Falles verteidigen zu können. Die Eingänge sind mit Steinmauern gesichert, hinter denen mehrere Reihen Jugendlicher mit Knüppeln und Schilden stehen. Die Sicherheitskontrollen sind scharf.
Doch trotz gegenteiliger Befürchtungen blieben die Islamisten bisher überwiegend friedlich, erkennt auch Abdul Bar Zahran, ein Parteifunktionär der bisher oppositionellen Partei der Freien Ägypter, an: "Ich bin optimistisch. Nicht einmal die 'Islamische Gruppe' hat ihre Anhänger zur Gewaltanwendung aufgerufen, das finde ich gut. Auch Präsident Mursi hat die Anhänger der Muslimbrüder angehalten, keine Gewalt anzuwenden, wenn sie für ihn demonstrieren." Die "Islamische Gruppe" ist eine fundamentalistische salafistische Organisation, die in der Vergangenheit Terrorakte begangen hat.
Haftbefehle bisher nicht vollzogen
Und auch das Militär hat bisher keine Gewalt angewendet, um das Protestgelände zu räumen. Alle islamistischen Demonstranten betonen, dass die Armee zwar nach dem Putsch mit gepanzerten Fahrzeugen vorgefahren sei, jedoch nichts Feindseliges unternommen habe. Lediglich der Zugang für die Demonstranten sei eine Zeitlang blockiert gewesen. Als man den Soldaten klargemacht habe, dass sie unerwünscht seien, seien die Truppen schließlich wieder abgezogen. Einen Angriff habe es dennoch gegeben, sagt Mohamed Abdel Lam: "Gestern hatten wir einen Scharfschützen, der auf drei Menschen geschossen hat. Einer wurde in den Kopf getroffen, ein weiterer in den Bauch und ein Dritter ins Bein. Da die Armee die islamistischen Fernsehstationen geschlossen hat, hat keiner davon erfahren."
Ein anderer Demonstrant, Mahmoud, ein Imam aus der Stadt Mansura, spekuliert, dass hinter dem Scharfschützen der Staatssicherheitsdienst steht. Er wolle die Demonstranten terrorisieren. Die Stimmung bleibt daher weiter sehr angespannt, und auch die Wut auf Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi ist groß. Als ein Militärhubschrauber über die Menge fliegt, ziehen viele kurzerhand ihre Schuhe aus und halten sie in Richtung Helikopter. Dabei rufen sie "Geh nach Hause, Sisi, Mursi ist unser Präsident!"
Die von der staatlichen Zeitung "Al-Ahram" gemeldeten 300 Haftbefehle gegen führende Funktionäre der islamistischen Parteien scheinen zumindest bisher nicht vollzogen worden zu sein. Mitglieder der Muslimbruderschaft berichten zwar von einigen Verhaftungen und erwarten auch, dass deren Zahl noch steigt. Doch Massenverhaftungen hat es bisher nicht gegeben. Abdul Bar Zahran betont zudem, dass es nicht die Absicht der ehemaligen Opposition sei, die Islamisten aus dem politischen System auszuschließen: "Vielleicht sieht es heute nicht danach aus, wegen der Haftbefehle gegen viele von ihnen. Da kann ich verstehen, dass es jetzt die Angst gibt, dass sich Ägypten wieder in Richtung Diktatur entwickelt, aber das ist nicht unsere Absicht."
Islamisten beharren darauf, Mursi wieder einzusetzen
Abdul Bar Zahran betont, dass sich die Haftbefehle seines Wissens gegen diejenigen richten, die Hetze betrieben und zu Gewalt aufgerufen hätten. Sie sollten seiner Meinung nach ein faires Gerichtsverfahren bekommen. Wie realistisch dies angesichts der hoch politisierten Justiz ist, bleibt jedoch abzuwarten. Die liberalen Parteien, so Abdul Bar Zahran, hätten zudem nicht vor, den gleichen Fehler zu machen wie die Islamisten, nämlich ihren politischen Gegner zu ignorieren. Das würde die Nation nur erneut spalten.
Doch auch wenn die Islamisten bisher überwiegend friedlich sind, sie denken im Moment nicht daran, ihre Ansprüche auf die Präsidentschaft fallen zu lassen und ihre Proteste zu beenden, sagt auch Mohamed Abdel Lam: "Wir werden unsere friedliche und demokratische Linie fortsetzen und hier demonstrieren und zwar so lange, bis Mursi wieder an der Macht ist. Ob das heute, morgen oder nächstes Jahr sein wird - wir können hier bleiben und selbst unsere Familien hierherholen."
Das hat auch damit zu tun, dass die meisten Demonstranten die Absetzung Mursis als einen Putsch gegen den Islam werten, den sie zu vertreten glauben. Zumindest das Potenzial für die viel befürchtete Gewaltexplosion bleibt also weiter erhalten. Das kann man auch in Nasr City immer wieder sehen. Etwas abseits der Rednerbühne steht ein Mann, der ein Schild über seinen Kopf hält, auf dem sein Name steht. Darunter schreibt er: "Ich bin bereit, als Märtyrer zu sterben."