Mr. Berlinale: Dieter Kosslick
5. Februar 2015Dieter Kosslick ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Verlassen kann man sich zumindest auf seinen Auftritt in der Öffentlichkeit. Auf dem Roten Teppich vor dem Festivalpalast der Filmfestspiele trägt der 66-Jährige stets Hut und bunten Berlinale-Schal. Auf der Bühne versprüht er seit Jahren Charme, weiß auch mit seinem etwas unbeholfenen Englisch zu kokettieren. Überhaupt der Humor! Kosslick hat viel davon. Und das will ja schon etwas heißen. Vor allem als Manager einer der größten Kulturveranstaltungen in Deutschland.
Seit 2001 leitet der gebürtige Pforzheimer Deutschlands größtes Filmfestival. Damals wurde der Antritt Kosslicks, der reichlich Erfahrung administrativer Art aus der Filmförderung mitbrachte, von allen Seiten begrüßt. Vor allem von der deutschen Filmszene. Das heimische Kino war von Kosslicks Vorgänger Moritz de Hadeln sträflich vernachlässigt worden. Das hat Kosslick sofort geändert. Seit der Jahrtausendwende sind deutsche Filme im Wettbewerb der Berlinale, aber auch in neu ins Leben gerufenen Reihen wie die "Perspektive Deutsches Kino" wieder präsent.
Starker Auftritt: das deutsche Kino
2015 ist der deutsche Film besonders stark vertreten: "Wir haben mit Werner Herzog, Wim Wenders, Andreas Dresen, Sebastian Schipper und Oliver Hirschbiegel fünf deutsche Regisseure im offiziellen Programm. In der 'Special'-Reihe wird außerdem die Weltpremiere von Margarethe von Trottas neuem Film gezeigt", fasste Kosslick die deutsche Präsenz in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur zusammen. Das deutsche Kino stehe gut da, sowohl was künstlerische Ausdrucksformen als auch den Publikumserfolg angehe, so Kosslick.
Der umtriebige Manager baute noch andere Programmteile aus. Ein ganz persönliches Steckenpferd, die Liebe zum guten Essen, verankerte der Schwabe im Berlinale-Programm, in dem er die Reihe "Kulinarisches Kino" aus der Taufe hob. Später kamen Sektionen wie "NATIVe" hinzu, die filmischen Erzählungen indigener Völker huldigt. Seit drei Jahren gibt es außerdem die "Berlinale Classics", die restaurierte Filme zur Wiederaufführung bringt.
Auch das Fernsehen rückt ins Berlinale-Blickfeld
2015 integriert Kosslick zudem die seit ein paar Jahren populären Fernsehserien ins Berlinale-Programm. Zu sehen sind Beispiele aus Europa, den USA und Deutschland: "Den Serien-Boom gibt es schon seit fünf Jahren, viele unserer Kinoleute arbeiten ja auch für die Serien", sagt Kosslick. Schließlich seien ja auch 80 bis 90 Prozent aller Kinofilme vom Fernsehen mitfinanziert: "Die Serien sind großartige, cineastisch erzählte Geschichten." Das historische, schizophrene Verhältnis zwischen Kino und Fernsehen sei für ihn eine überholte Diskussion.
Mit dem TV-Serienprogramm will Kosslick auch demonstrieren, dass sich das Festival keineswegs den großen Zeitströmungen verschließt: "Ich glaube, dass manche Kinobesitzer sich darauf vorbereiten, genau das zu tun, was jetzt die Berlinale macht - nämlich vorab Serien-Teaser im Kino zeigen." Er frage sich, so Kosslick, ob es der audiovisuellen Industrie gelingt, eine friedliche Koexistenz des Kinos mit großer Leinwand und großem Saal und Download oder Streaming bis auf die Armbanduhr herzustellen.
Kunst & Kommerz als Konzept
Populären und unterhaltenden Filmformen sowie dem großen Auftritt auf dem Rotem Teppich verschließt sich der umtriebige Kosslick nicht. Dazu gehört auch, dass den Filmproduzenten während der Berlinale in Galavorführungen ein festlicher Rahmen für Premieren eingeräumt wird. Davon profitieren beide Seiten: Kosslick, weil er prominente Stars auf dem Roten Teppich präsentieren kann, die Filmverleiher, weil sie kurz vor dem jeweiligen Kinostart viel Promotion bekommen. Die nur einen Tag vor dem Deutschlandstart angesetzte Berlinale-Premiere von "Fifty Shades of Grey" ist in diesem Jahr ein typisches Beispiel dafür.
Kosslick steht dazu: "Neben den ernsten Themen gibt es natürlich auch Unterhaltung bei der Berlinale." Für den Festivalchef ist das kein Widerspruch. Kosslick weiß, auf was es letztendlich ankommt beim Festival, weiß um den Ruf der Berlinale. Die hat sich im Gegensatz zur Konkurrenz in Cannes und Venedig vor allem auf die Vielfalt des gesellschaftlich engagierten Kinos konzentriert. Das trifft auch auf den aktuellen Jahrgang zu: "Es gibt dieses Jahr thematische Verbindungen über das ganze Festival hinweg", verriet er der dpa: "In zahlreichen Filmen geht es um den Umgang mit Minderheiten, um Religion und Religionswahn. Mehrere Filme handeln vom Missbrauch von Kindern, vor allem in der katholischen Kirche." Und wie immer werde auch die Geschlechterfrage thematisiert.
Engagement für Film-Dissidenten
Im Fall des iranischen Film-Dissidenten Jafar Panahi, dessen neuer Film "Taxi" im Wettbewerb läuft, der aber selbst wegen eines gegen ihn verhängten Reiseverbots nicht nach Berlin kommen kann, lehnt sich Kosslick mutig aus dem Fenster: "Die ständige Einladung an Panahi, der vor vier Jahren Jurymitglied war und nicht ausreisen durfte, steht. Ich lade Panahi solange ein, bis er kommen kann." Die Berlinale kämpfe schließlich seit ihrer Gründung im Jahr 1951 für die Freiheit von Kunst und Meinungsfreiheit.
In den letzten Jahren geäußerter Kritik, die Berlinale zeige zu wenig Weltpremieren und lasse im Wettbewerb künstlerische Qualität vermissen, begegnete Kosslick 2014 souverän. Mit "Boyhood" und "Grand Budapest Hotel" waren im vergangenen Jahr gleich zwei hochkarätige Filme zu sehen, die derzeit als Oscar-Favoriten gehandelt werden. Und einer zweiten, häufig geäußerten Kritik am überbordenden Angebot des Festivals mit seinen unzähligen Programmreihen begegnet er mit dem Hinweis, die Kinos im Berlin seien schließlich alle ausverkauft. Das ist das wohl beste Argument des Mannes mit den vielen Gesichtern: Er hat das Publikum auf seiner Seite.