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Mozarts Seelenqualen: "Seine Hochbegabung hat ihn getrieben"

Gaby Reucher
27. Mai 2024

Mozart, Wunderkind und Popstar seiner Zeit? Die Forschung zeigt einen anderen Mozart voller Widersprüche, und das Mozartfest Würzburg wagt einen Blick in seine Seele.

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Gemälde: Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Amadeus Mozart wurde nur 35 Jahre alt Bild: Imago/United Archives International

Mozarts "Zauberflöte" ist eine der berühmtesten Opern der Welt, seine "kleine Nachtmusik" ein beliebter Handy-Klingelton. Gerne wird der Komponist als Popstar der klassischen Musik bezeichnet. Er gilt als eines der größten musikalischen Genies aller Zeiten, als Komponist komplexer Werke, aber auch eingängiger, leichter Melodien. Doch auch seine unterhaltsamen Kompositionen sind tiefgründig und zeugen oft von inneren Seelenqualen. Mozartexpertin Evelyn Meining weiß: "Er war ein hart arbeitender Mensch, der Tag und Nacht komponiert hat." 

Eine Frau mit blauer Jacke und Perlenkette lächelt in die Kamera
Evelyn Meining, Intendantin des Würzburger Mozartfests Bild: Dita Vollmond

Sie ist Dozentin für Kulturmanagement und Intendantin des Mozartfests Würzburg.  Meining will ein Bewusstsein schaffen für ein anderes Mozartbild, fern der Klischees. "Mozart ist mehr als die Schokoladenkugel aus Salzburg und mehr als ein Handy- Klingelton", sagt sie im Interview mit der DW.

Mozart das Wunderkind

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) komponierte in seinen 35 Lebensjahren rund 600 Werke, darunter 41 nummerierte Sinfonien und 21 Opern. Außerdem Konzerte, Messen sowie Instrumentalwerke und Lieder. "Wenn man sich den Umfang seines riesigen Werkes in seinem kurzen Leben anschaut, dann bekommt man eine Ahnung, wie viele Stunden und Jahre er einsam dasaß und komponierte", so Evelyn Meining.

Gemälde zeigt eine adelige Gesellschaft, die einem Jungen am Klavier zuhört
Mozart spielt für König George III. Das Bild wurde lange nach seinem Tod gemalt.Bild: Fine Art Images/Heritage Images/picture alliance

In ihrer Kindheit wurden Wolfgang Amadeus Mozart und seine ebenfalls talentierte Schwester Anna Maria bei Hofe als musikalische Wunderkinder vorgeführt. Durch ganz Europa fuhr der Vater mit ihnen - und das in einer holprigen Pferdekutsche, eine Strapaze für die Geschwister. Später trotzte Mozart immer wieder der Obrigkeit. Letztendlich warf er seine Anstellung beim Salzburger Erzbischof hin und machte sich in Wien selbstständig. Für damalige Verhältnisse verdiente er gut, aber er gab mehr Geld aus, als er einnahm. Kurz nach der Uraufführung der "Zauberflöte" erkrankte er schwer und starb im Dezember 1791 - mit gerade mal 35 Jahren und noch unendlich vielen Kompositionen im Kopf, die er nicht mehr verwirklichen konnte. 

Mozart-Faksimile von Mozarts Partitur zur Zauberflöte
Mozarts Zauberflöte ist die meist aufgeführte Oper in DeutschlandBild: Steffen Kugler/dpa/picture alliance

Mozarts Wechselbad der Gefühle

"Mozart war anders, er entsprach nicht dem Durchschnitt der Zeitgenossen", sagt Evelyn Meining. Seine Hochbegabung habe ihn getrieben, immer weiter zu komponieren. Ein Genie, das nicht abschalten kann, das keine Pausen kennt. Das Helle und das Dunkle, Einsamkeit und glückliche Erfüllung, das seien Kontraste, von denen die Musik Mozarts lebe, sagt Meining. Seine Seelenzustände vertraute Mozart seiner Frau Konstanze in zahlreichen Briefen an. So schrieb er 1790: "Wenn die Leute in mein Herz sehen könnten, so müsste ich mich fast schämen. Es ist alles kalt für mich, eiskalt."

Orchesterszene mit Dirigent und Sänger auf dem Podium.
Bariton Benjamin Appl singt Mozartarien bei der Eröffnung des Mozartfests WürzburgBild: Dita Vollmond

Als Katholik schuf Mozart auch viele geistliche Werke, zuletzt sein Requiem, das unvollendet blieb. In der christlichen Religion spielen die Begriffe Schuld und Sühne eine große Rolle. Mozart hat das Thema von Schuld und Vergebung auch in seinen Opern aufgegriffen. "Keiner kann die Seele besser in Töne fassen als Mozart", findet Evelyn Meining. Dabei sei die Stimme der bestmögliche Spiegel der Seele, weshalb ein Schwerpunkt beim Mozartfest Würzburg in diesem Jahr auf den Opern, Liedern und Chorwerken Mozarts liege.

Così fan tutte: eine komische Oper mit Tiefgang

Ein Paradebeispiel für Schuld und Vergebung und die Seelenzustände des Menschen ist Mozarts späte Oper "Così fan tutte" (auf Deutsch: "So machen es alle"), die er 1790 nach dem Libretto des italienischen Dichters Lorenzo Da Ponte komponierte. Eigentlich ist es eine heitere Komödie, bei der es um gebrochene Treueschwüre und um den Verlust von Idealen geht. Zwei Paare verstricken sich im Gefühlschaos, weil der gut situierte Don Alfonso seine jungen Freunde Ferrando und Guglielmo herausfordert, die Treue und Ergebenheit ihrer Verlobten, der beiden Schwestern Dorabella und Fiordiligi, auf die Probe zu stellen.   

In zeitgemäßer Kleidung stehen zwei Paare auf der Bühne. Zwischen ihnen ein gereifter Herr im schwarzen Anzug mit Spazierstock.
Don Alfonso (Mitte) stiftet in der Mozart-Oper "Così fan tutte" VerwirrungBild: Gerhard Rauchwetter/dpa/picture alliance

Das Abschiedsterzett von Don Alfonso und den beiden Schwestern handelt von Wünschen und Sehnsüchten. Gerade auf dem Wort "Desir" (der Wunsch) erzeugt Mozart durch dissonante Klänge eine große Spannung. So seien "Widersprüche des menschlichen Fühlens nie zuvor in Musik gefasst worden", schreibt der Musikjournalist und Buchautor Wolfgang Stähr. Der Mozartforscher Ulrich Konrad spricht an dieser Stelle von einem "unvergleichlichen Tonsymbol".

Von Schuld und Vergebung

Bis ins späte 18. Jahrhundert war die Vergebung ein wichtiges Thema in der Opera seria, der sogenannten "ernsten" Oper. Die Herrschenden vergaben den reuigen Sündern, Ehre und Ruhm waren dem Adel vorbehalten. Mozarts "Così fan tutte" parodiert diese Vorstellungen; jeder der Beteiligten, egal von welchem Stand, trägt Schuld. Und am Ende verzeiht man sich gegenseitig - oder doch nicht?

Gemälde: Mozart lehnt auf einem Flügel über einer Partitur und tippt mit einem Finger auf die Klaviertasten.
Mozart mit leichter Hand beim Komponieren in einem idealisierten Gemälde aus dem 19. Jahrhundert Bild: akg-images/picture alliance

"Man darf sich nicht täuschen lassen von dieser Oberfläche, nach der es scheinbar ein Happy End gibt", sagt Meining. "Da geht Mozart unter die Oberfläche, in tiefe Schichten des Menschseins hinein." Der 2016 verstorbene berühmte Dirigent Nikolaus Harnoncourt hielt die komische Oper "Così fan tutte" für die traurigste Oper der ganzen Musikgeschichte.

Mozart porträtiert die Menschen in seinen Opern beim Scheitern und zeigt ihre Schuld, ohne sie jedoch zu verurteilen. "Schuld und Vergebung, Seelenforscher Mozart" heißt dementsprechend das Motto des diesjährigen Festes in Würzburg. Es ist das größte Mozart-Festival in Deutschland. Intendantin Evelyn Meining zeigt jedes Jahr andere Facetten Mozarts, fernab des oberflächlichen Klischees vom Popstar. Dabei sucht das "unkonventionelle und experimentierfreudige" Festival auch immer Anhaltspunkte in der Gegenwart.

Zuschauersaal mit Orchester auf der Bühne im Hintergrund.
Das Orchester "Les Talens Lyriques" unter Christophe Rousset zeigt beim Eröffnungskonzert, wie Mozarts Musik die Seele berührtBild: Dita Vollmond

Die eigene Schuld erkennen

In diesem Rahmen entstand das Projekt "Hell ist die Nacht", das sich mit der Schuld der Deutschen im Nationalsozialismus befasst. Ende des Zweiten Weltkrieg wurden am 16. März 1945 innerhalb von 20 Minuten 90 Prozent der Stadt Würzburg im Bombenhagel der britischen Royal Air Force zerstört. Im Luftschutzkeller des Klosters der Erlöserschwestern fanden damals 500 Menschen Zuflucht. In den Räumen dieser Anlage wird in einer musiktheatralischen Installation mit Lyrik, Berichten von Zeitzeugen und natürlich auch Musik von Mozart die Schuld der Deutschen thematisiert. "Viele Deutsche haben ja auch nach dem Krieg noch behauptet, sie hätten nichts gewusst von der Judenverfolgung. Und natürlich war auch ein Weltkrieg keine Sache von wenigen", sagt Evelyn Meining.

Ein Thema, das angesichts des wachsenden Rechtsextremismus und der jüngsten Kriege sehr aktuell ist. Bei der Installation soll es auch darum gehen, den Weg in ein neues Leben als Friedensgesellschaft nachzuvollziehen. "Dass hier aus der Schuld heraus ein neuer Weg in die Zukunft beginnen kann mit einem verantwortungsvollen Umgang als Gesellschaft und als Individuen", so Meining. Die Verantwortung liege bei jedem selbst.

Das Mozartfest läuft noch bis zum 23. Juni 2024 in Würzburg.