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Ist klassische Musik kolonialistisch?

Gaby Reucher
3. Mai 2021

Ja, sagen Professoren der Universität Oxford und wollen den Lehrplan ändern. Deutsche Institutionen tun sich schwerer. Doch auch dort gibt es ein Umdenken.

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Mann spielt Sitar Musik Instrument.
Traditionell oder klassisch? Der Blick auf Musik ist oftmals eurozentristisch und kolonial geprägtBild: picture-alliance/John Wilson

Wer in Deutschland Musik studieren will, der sollte sich auskennen mit Komponisten wie Bach, Mozart, Beethoven oder auch Stockhausen. Kenntnisse zur Musik moderner nigerianischer Komponisten wie Joshua Uzoigwe und Olufęlá Şowándé oder über den indischen Hofmusiker Tansen aus dem 16. Jahrhundert werden in den Musikhochschulen weder abgefragt, noch vermittelt.

"Für die Aufnahmeprüfungen muss man sich mit der westlichen europäischen Musiksprache auskennen. Man kann sich nicht einfach als Spezialist für afrikanische Trommelrhythmen bewerben", sagt Julia Gerlach von derAkademie der Künste in Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Oxford will Curriculum ändern

Cecil Rhodes Statue am Oriel College in Oxford University
Die University of Oxford ist eine der ältesten und renommiertesten Universitäten der WeltBild: picture alliance

An der Oxford University hat man das Problem mangelnder Diversität im Studienangebot erkannt. Erst kürzlich veröffentlichte die britische Sonntagszeitung "The Sunday Telegraph" Pläne der Eliteuniversität, "diversere" Musikformen im Lehrplan aufzunehmen.

Professoren und Studierende hatten kritisiert, dass es zu viele Werke "weißer europäischer Komponisten" aus der Zeit der Sklaverei gebe, wie etwa die von Mozart, Beethoven oder Haydn. Auch das westliche Notensystem bezeichnen laut Sunday Telegraph einige Professoren als "kolonialistisches Unterdrückungssystem".

Im Lehrplan soll es künftig eine Auswahl an nicht-westlicher Musik und populärer Musik aus der ganzen Welt geben. Im Sommer sollen die Pläne nach der Genehmigung durch die Universität offiziell veröffentlicht werden. Nach Informationen des Radionetzwerks Classic FM will man das bisherige Angebot zur klassischen Musik aber auf keinen Fall einschränken.

Musikprägung beginnt schon in der Schule

"Wir befassen uns in Deutschland noch zu wenig mit dem Thema Dekolonialisierung in der Musik," sagt Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats im Gespräch mit der DW. "Man sollte den Fokus in Hinblick auf die Vielfalt der Kulturen erweitern, aber ich finde es indiskutabel, vergangene Musikepochen dabei heranzuziehen, und zu sagen, das sei koloniales Erbe und das müssten wir zurückfahren."

Musikpreis Opus Klassik
Sheku Kanneh-Mason erhielt 2018 den Opus Klassik als "Nachwuchskünstler Cello"Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Der britische Cellist Sheku Kanneh-Mason findet die klassische Musik an sich nicht kolonialistisch oder rassistisch. Er kritisiert aber in einem Youtube-Video von "ITV Good Morning Britain" die mangelnde Wertschätzung des Musikunterrichts an staatlichen Schulen. Man würde Schwarzen und anderen Menschen mit Migrationshintergrund gar nicht zutrauen, ein klassisches Instrument zu spielen. "Nur sehr wenige Schwarze haben die Möglichkeit, [klassische Musik] zu erleben."

Musikalische Vielfalt leben

Seit 2005 gibt es die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, die auch die Bundesregierung unterzeichnet hat. Der Deutsche Musikrat vertritt als Dachverband für das Musikleben in Deutschland die Interessen von rund 14 Millionen Musizierenden. Sein Generalsektetär Christian Höppner setzt sich dafür ein, dass zum Beispiel Flüchtlingskinder aus Syrien sowohl Zugang zur westlichen Musiktradition bekommen, als auch die Musik ihrer Heimat ausüben können.

Christian Höppner
Christian Höppner will die Neugierde für Musik anderer Kulturen weckenBild: DW/Jan Röhl

"Das ist ein ungeheurer Reichtum, der da an uns vorbeigeht und letztendlich entspricht das auch nicht der soziodemografischen Zusammensetzung in unserer Bevölkerung", sagt Höppner. Musikschulen und Institutionen für die Musik anderer Kulturen zu interessieren, sei allerdings nicht einfach. Rund zehn Jahre hatte Christian Höppner Überzeugungsarbeit geleistet, dass die türkische Laute Baglama als Kategorie beim Wettbewerb "Jugend musiziert" zugelassen wurde und dann auch als Instrumentalfach Einzug in Hochschulen und Musikschulen nahm.

Umgang mit der Musik andere Kulturen

Wer sich speziell mit Musik aus anderen Kulturen beschäftigen will, hat an einigen Hochschulen in Deutschland die Möglichkeit, das Fach Musikethnologie zu studieren. Es gibt die spezialisierte Popakademie in Mannheim, und fast jede Hochschule mit Musikzweig bietet Jazz und Pop als Studienfach an.

"Gerade diese Musikethnologie und die europäische Musik so stark zu trennen, ist eine Art kolonialer Praxis", findet Musikexpertin Julia Gerlach, die sich seit Jahren mit Diversität in der zeitgenössischen Musik beschäftigt. Es habe sich schon viel geändert, aber es sei immer der Blick des Europäers, der sich eine Musiktradition anschaut, ihre Musik transkribiert und dann in Archiven aufbewahrt. Auch wenn diese Form der Aufbewahrung in der Kultur selbst gar nicht praktiziert würde, weil es dort eine Tradition der mündlichen Überlieferung gebe. "Es gibt ja auch Forderungen, dass die Aufnahmen in musikethnologischen Sammlungen nicht mehr weiter aufgehoben werden dürfen, weil darin schon ein Raub gesehen wird."

Diverse Musik in der Praxis

In einem Symposium hat sich die Akademie der Künste im Herbst 2020 mit der Dekolonialisierung der zeitgenössischen europäischen Musik beschäftigt. Warum wird selbst heute noch klassische Musik als "kultivierter" empfunden als indische Kunstmusik? "Das fängt schon damit an, dass man die Musik von Komponisten aus Indien oder Südamerika gar nicht als zeitgenössische Musik sieht, sondern als traditionelle Musik", sagt Gerlach.

Deutschland Akademie der Künste Berlin Gebäude
Die Akademie der Künste kümmert sich um internationalen kulturellen AustauschBild: Imago

Im zweiten Teil des Symposiums, dass die Akademie der Künste vom 6. bis zum 9. Mai veranstaltet, soll nach praktischen Lösungen gesucht werden. "Es ist alles partizipativ, und wir wissen nicht, was passiert. Die Agenda wird kollektiv ausgearbeitet mit Listenings, um sich über Hörgewohnheiten auszutauschen." Außerdem wollen die internationalen Teilnehmer raus aus dem Nischendasein bei Festivals und rein in die Konzertsäle. Einen Fortschritt gäbe es schon, sagt Julia Gerlach: "Auch die Akademie hat sich jetzt mit der Kolonialisierung befasst und die Archive geöffnet, um zu sehen, was es an musikalischem Kolonialgut auch in unserem Archiv gibt. Da findet auf vielen Ebenen schon ein Umdenken statt."

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