Johann Sebastian Bach zum 270. Todestag
28. Juli 2020Das musikalische Werk von Johann Sebastian Bach ist ausführlich erforscht und dokumentiert worden. Auch Bachs berufliche Laufbahn ist bekannt, doch über seine Persönlichkeit weiß man im Vergleich zu anderen Komponisten relativ wenig, nicht einmal, wie er genau ausgesehen hat.
In Eisenach wurde der Barock-Komponist 1685 geboren, in Weimar war er Konzertmeister, in Köthen erlangte er das Amt des Hofkapellmeisters und in Leipzig verdiente er sein Geld bis zum Lebensende als Thomaskantor. Er starb am 28. Juli 1750 in Leipzig.
Zu den Originalschauplätzen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, wo die Familie gelebt und gearbeitet hat, pilgern jährlich tausende Besucher, um Bach zu hören und zu erleben. In Eisenach berühren sie ehrfürchtig den Taufstein in der Georgenkirche, in der Thomaskirche in Leipzig legen sie Blumen auf Bachs vermeintliches Grab. "Ob Bach wirklich unter der Grabplatte mit der Aufschrift Johann Sebastian Bach in der Thomaskirche liegt, ist nach wie vor das Rätsel des Jahrhunderts", sagt Jörg Hansen, Direktor des Bachhauses in Eisenach.
Bach von gestern ins Heute holen
Die"neue Bach-Gesellschaft" gründete 1907 im Bachhaus Eisenach das erste Bach-Museum. Es war ein Haus in der Nachbarschaft seines Geburtshauses, das nicht mehr existierte. Neben Bachs Privatbibliothek und der größten Sammlung von Bachdarstellungen beherbergt das Museum auch zahlreiche historische Instrumente aus Bachs Zeit, die jede Stunde von Musikern für das Publikum gespielt werden.
Direktor Jörg Hansen ist es wichtig zu vermitteln, wie vielschichtig Bachs polyphone Kompositionen aufgebaut sind und warum er unter anderem als Meister der Fuge gilt. "Die Leute sollen den Einfluss sehen, den Bach gerade in der Klaviermusik hatte, das ist vielleicht hauptsächlich der Grund, warum wir Bach heute noch hören."
Beim Spiel auf den alten Barock-Instrumenten im Museum wird der Originalklang gesucht. "Die moderne historische Aufführungspraxis ist für mich der Versuch, sich von diesem überlasteten Monument des Nationalkomponisten Bach zu befreien, als Abwehr dieser ideologischen Überhöhungsversuche", sagt Hansen im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Von Biografen in den Olymp gehoben
Nach seinem Tod 1750 geriet das Vokalwerk Johann Sebastian Bachs, seine Lieder und seine geistliche Musik, lange in Vergessenheit - bis man den Komponisten Anfang des 19. Jahrhunderts wiederentdeckte und ihn zum Nationalhelden stilisierte.
Johann Nikolaus Forkel schrieb 1802 die erste Bach-Biografie. Im Untertitel heißt es: "Für patriotische Verehrer echter musikalischer Kunst". "Forkel hebt Bach auf den Olymp und zeichnet das Bild eines Tastenvirtuosen, der durch deutsche Tugenden wie Fleiß und Ernsthaftigkeit zum Genie geworden ist", sagt Michael Maul, Intendant des Leipziger Bachfestes, der sämtliche Bach-Biografien kennt.
Der Komponist Felix Mendelssohn-Bartholdy entdeckte erst 1829 Bachs geistliche Musik wieder, darunter Bachs Kantaten, die er als Gebrauchsmusik geschrieben hatte, seine Oratorien und Passionen. Mendelssohn brachte eine verkürzte Matthäus-Passion zur Aufführung, die den Anstoß zu einer neuen Bachverehrung gab.
Bach als Produkt deutscher Kulturgeschichte
1872 schrieb Philipp Spitta eine der umfangreichsten Bach-Biografien. Sie erschien ein Jahr nach der deutschen Reichsgründung. Auch Spitta hebt das Patriotische hervor und sieht Bach als Produkt der deutschen Kulturgeschichte. Allerdings ging er auch mit Methodik und Forschergeist an die Sache heran. "Trotz der wenigen Quellen hat er im Grunde ein echtes Pionierwerk für Biografik in der Musikwissenschaft geschaffen", sagt Michael Maul.
Albert Schweitzer, der als Tropenarzt, Philosoph und Theologe bekannt wurde, hat als Musikwissenschaftler und Bach-Interpret 1902 eine große Bach-Monographie geschrieben. Darin arbeitet er besonders die theologischen Botschaften in dessen Musik heraus und gibt Bach-Interpreten Hinweise, wie die Botschaft der Texte in Musik und Gesang artikuliert werden sollte.
An die große Verehrung Bachs als Nationalkomponist im 19. Jahrhundert knüpften die Nationalsozialisten in den 1930er Jahren an. "Bach galt als Urbild des deutschen 'arischen' Komponisten", erklärt der Leiter des Bachhauses in Eisenach. Oratorientexte, die nicht ins Bild passten, wurden kurzerhand umgeschrieben oder ganz neu hinzugedichtet. "In dem Marsch und Liederbuch der Hitlerjugend - da haben wir auch eins ausgestellt - ist ein entsprechendes Lied auf eine Melodie aus dem wohltemperierten Klavier umgedichtet", so Hansen.
Die neue Sachlichkeit um Bach
Der Musikwissenschaftler Christoph Wolff hielt sich bei seiner Biografie 2002 an die Fakten. Von 1950 bis 2007 waren das Bach-Institut Göttingen und das Bach-Archiv Leipzig damit beschäftigt, eine neue kommentierte Gesamtausgabe von Bachs Werk herauszugeben. Dazu hatte man sämtliche Quellen systematisch gesammelt. Allein das Verzeichnis umfasste über 1000 Nummern. Das Dokumenten-Material füllte in den frühen 1980er Jahren drei Bände, auf die Wolff zurückgreifen konnte.
Die Lücken über Bachs Persönlichkeit und seinen Charakter konnte allerdings auch er nicht schließen. Im Nekrolog aus Bachs Familien hieß es zwar, Bach sei "jedermann angenehm" gewesen und habe viel Besuch empfangen, doch aus historischen Akten geht auch hervor, dass er immer wieder bei seinen Arbeitgebern aneckte und als störrisch galt. "Bei Wolff bekommt man das Bild von einem Menschen, der auf der Basis von ganz schwierigen Voraussetzungen Karriere gemacht hat", sagt Bachfest-Intendant Michael Maul. "Er wird als Mensch entdeckt mit all seinen Stärken und Schwächen. Das erdet Bach ganz angenehm."
Auch Michael Maul arbeitet seit vier Jahren an einem Buch, das 150 Stationen von Bach in Bildern zeigt - inklusive zugehöriger Texte. Wegen der Corona Krise ist die Veröffentlichung allerdings vorerst verschoben. Für Maul ist Bach stellenweise auch eine tragische Figur. "Mir tut es weh, wenn ich sehe, wie sich Bach, wenn er etwa gute Arbeitsbedingungen erreichen wollte, wie der Elefant im Porzellanladen benommen hat", sagt Maul. "Umso rührender oder erstaunlicher ist es, dass er teilweise unter misslichen Bedingungen solche Meisterwerke komponiert hat."
Was heute noch an Bach fasziniert
Heute wird Bach nicht als Nationalheld, sondern wegen seiner Musik verehrt. Über 300 internationale Bachchöre und Gesellschaften hat das Team des Bach-Archivs Leipzig über das Internet ausfindig gemacht. Bachs Musik begeistert über alle geografischen, konfessionellen und kulturellen Grenzen hinweg.
Michael Maul faszinieren die zeitlosen Melodien des Barock-Komponisten. "Sie sind von der Substanz unglaublich stark, so dass auch viele Jazzer und bekannte Rockmusiker sagen würden, der wichtigste Komponist der Musikgeschichte ist Bach." Das hat ihm der Popmusiker Sting persönlich bestätigt. "Sting hat mir erzählt, dass er an jedem zweiten Tag, wenn er aufsteht, zur Gitarre greift und erst einmal eine Cellosuite von Bach spielt, um sich zu erden."
Jörg Hansen vom Bachmuseum in Eisenach schätzt den Ideenreichtum des Komponisten voller Witz und Humor. Etwa am Ende von Bachs berühmten "Goldbergvariationen" für Klavier. "Da schreiben manche, das sei wie Passionsmusik, unglaublich traurig und anrührend. Dabei ist es nur die Umkehrung der Melodiestimme an der Mittelachse." Im letzten Kanon habe Bach noch Gassenhauer aus Thüringen eingebaut. "Das Ganze macht einfach Spaß, das fasziniert an Bach."