Mount Everest - Gipfel der Corona-Fahrlässigkeit
21. Mai 2021Die Mauer des Schweigens bröckelt. Seit mehreren Wochen ist es ein offenes Geheimnis, dass COVID-19 auch den Weg ins Basislager zu Füßen des Mount Everest gefunden hat. Doch die Regierung Nepals leugnet nach wie vor hartnäckig, dass die dramatische Corona-Lage im Land auch das abgelegene Zeltlager nahe der Grenze zu China erfasst hat, in dem sich während der Gipfelsaison hunderte Bersteiger gleichzeitig aufhalten. Der Erste, der öffentlich über einen massiven COVID-19-Ausbruch sprach, war der österreichische Expeditionsleiter Lukas Furtenbach.
Der Chef des kommerziellen Veranstalters Furtenbach Adventures zog die Reißleine und brach seine Expedition unmittelbar vor dem geplanten Beginn eines Gipfelversuchs ab. Die Corona-Lage "eskaliere", sagte Furtenbach. "Wir alle wissen, dass wir einen massiven Ausbruch im Basislager haben. Alle Teams. Die Piloten wissen es, die Versicherungen wissen es, die HRA [Himalayan Rescue Association, die im Basislager eine Krankenstation betreibt - Anm. d. Red.] weiß es. Trotzdem Leute hochzuschicken, ist rechtlich gesehen fahrlässig und moralisch gesehen unmenschlich."
Partys trotz Corona-Gefahr
Der Österreicher bezifferte die Zahl der Bergsteiger, die bisher mit positivem COVID-Befund per Hubschrauber ausgeflogen worden seien, auf rund 150. Auch in seinem eigenen Team habe es sieben Fälle gegeben, trotz umfangreichen Hygiene-Konzepts und regelmäßiger Tests. Furtenbach wies darauf hin, dass andere Teams trotz Corona-Gefahr weiterhin auf Tests verzichteten und sogar Partys im Basislager veranstalteten. Fotos und Videos, die in den sozialen Netzwerken kursieren, bestätigen seine Angaben: feiernde Bergsteiger, ohne Masken, ohne Sicherheitsabstände.
Die anderen Expeditionsveranstalter halten sich bisher weitgehend bedeckt - vielleicht auch, weil dem Vernehmen nach das für den Mount Everest zuständige nepalesische Tourismusministerium mit Konsequenzen gedroht hat, etwa bei der Vergabe künftiger Permits. Für dieses Frühjahr hatte das Ministerium 408 solcher Besteigungsgenehmigungen für ausländische Bergsteiger erteilt, so viele wie noch niemals zuvor - und das trotz Pandemie. Inklusive einheimischem Personal summierten sich die Menschen, die sich seit etwa Ende April im Everest-Basislager aufhielten, auf rund 1500.
Keine unliebsamen Aufnahmen
Vor der Saison hatte die Regierung den Bergsteigern untersagt, mit ihren Videokameras oder Smartphones andere Kletterer aufzunehmen und die Bilder und Filme dann über die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Auf diesem Weg sollten Aufnahmen wie jene von langen Staus am Gipfelgrat, die im Frühjahr 2019 weltweit Schlagzeilen gemacht hatten, unterbunden werden. Das passt nicht ins Image des nepalesischen Bergtourismus, das die Regierung gerne pflegen würde - ebenso wenig wie Corona-Fälle im Everest-Basislager.
Die tibetische Nordseite des Mount Everest blieb in diesem Frühjahr - wie schon 2019 - wegen der Pandemie für ausländische Bergsteiger gesperrt. Lediglich 21 chinesische Bergsteiger erhielten Permits. Ihre Expedition wurde jedoch kurz vor dem geplanten Gipfelversuch abgebrochen. Die chinesisch-tibetischen Behörden fürchteten, dass sich die Bergsteiger am Gipfel des Everest mit COVID-19 anstecken könnten - sollten sie dort auf andere Bergsteiger treffen, die von der nepalesischen Südseite aus aufstiegen.
Mit allen Mitteln soll verhindert werden, dass die aktuelle Corona-Welle, die in Indien ihren Ursprung nahm, auch nach China überschwappt. Seit Wochen ächzt Nepal unter der Infektionswelle. Das Gesundheitssystem des Entwicklungslands ist nicht in der Lage, die Krise zu bewältigen. In Krankenhäusern überall im Land fehlt es an Betten und an Sauerstoff, um schwerkranke Patienten behandeln zu können.
Zwei Veranstalter sagen Expeditionen nach Pakistan ab
Nepals Nachbarland Pakistan hat derweil angekündigt, dass Touristen wieder willkommen seien, allerdings unter strengen Corona-Sicherheitsvorschriften. Für die im Sommer anstehende Bergsteigersaison im Norden des Landes mit seinen fünf Achttausendern gelten besondere Richtlinien: So dürfen Bergsteiger oder Sherpas, die sich in den vergangenen drei Wochen in Nepal aufgehalten haben, nicht einreisen, solange Nepal als COVID-19-Hochrisikogebiet eingestuft wird. Alle Expeditionsteilnehmer müssen zudem geimpft sein.
Mit Furtenbach Adventures und dem Schweizer Anbieter Kobler & Partner haben zwei kommerzielle Veranstalter aus Europa ihre geplanten Achttausender-Expeditionen in Pakistan bereits abgesagt - auch unter Verweis auf die jüngsten Ereignisse am Mount Everest. "Sollte ein solcher Ausbruch in Pakistan passieren, dann sind die Risiken viel höher als in Nepal", ließ Kobler & Partner seine Kunden wissen. "Die Rettungskette in Pakistan ist nicht vergleichbar mit den Möglichkeiten in Nepal. Wir können das Risiko nicht verantworten."