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GesellschaftAsien

Nepal versinkt im Corona-Chaos

11. Mai 2021

Nachdem die explosionsartige Ausbreitung des Coronavirus von Indien nach Nepal übergeschwappt ist, kollabiert das Gesundheitssystem des Himalayastaates – und das in Zeiten einer politischen Krise.

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BdTD Nepal | Hindu-Festival Gai Jatra in Kathmandu
Bild: Getty Images/AFP/P. Mathema

Sabina Parajuli schlägt Alarm. "Da nur eine begrenzte Anzahl von Betten in Krankenhäusern zur Verfügung steht, der Sauerstoff begrenzt ist und die meisten Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert werden, beatmet werden müssen, ist es nicht mehr als ein Traum, dass schwer betroffene COVID-19-Patienten ausreichend Sauerstoff erhalten", sagt die 30-Jährige der DW. "Die Menschen verlieren ihr Leben, während sie hierhin und dorthin rennen, um in ein Krankenhaus eingeliefert zu werden und intensive Pflege zu erhalten."

Parajuli arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus in der Stadt Bharatpur, gut 80 Kilometer Luftlinie westlich der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Nur halb so weit ist es von Bharatpur zur Grenze nach Indien. Von dort ist die explosionsartige Ausbreitung des Coronavirus vor wenigen Wochen in den Himalayastaat übergeschwappt.

Nur die Spitze des Eisbergs

Am Dienstag registrierten die nepalesischen Behörden 9317 neue Infektionen innerhalb von 24 Stunden, so viele wie noch nie zuvor an einem Tag. Fast täglich werden neue Höchstwerte gemeldet. Dafür verantwortlich soll "B.1.617.2" sein, die indische Mutante des Coronavirus, die immer häufiger nachgewiesen wird. Im Verhältnis zu den Bevölkerungszahlen steigt die Infektionskurve in Nepal inzwischen sogar stärker an als in Indien. 

Nepal Kathmandu | Coronavirus Krise | Krematorium
Abschied von den Verstorbenen – inzwischen sind auch Behelfskrematorien im Einsatz Bild: Niranjan Shrestha/AP Photo/picture alliance

Seit dem Ausbruch der Pandemie vor mehr als einem Jahr haben sich mehr als 400.000 Nepalesinnen und Nepalesen mit dem Coronavirus angesteckt, über 4000 Menschen starben an COVID-19. Wegen der geringen Testkapazitäten muss von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. "Viele Patienten mit Verdacht auf COVID-19 werden gar nicht getestet - es sei denn, es ist unumgänglich, sie in ein Krankenhaus einzuweisen", sagt die Ärztin Parajuli. "Die täglich in den Laboren erfassten Daten sind nur die Spitze des Eisbergs."

Regierungschef verliert Vertrauensabstimmung

Schon Ende April hatte das nepalesische Gesundheitsministerium erklärt, angesichts der steigenden Infektionszahlen sei "das Gesundheitssystem überfordert, und es ist bereits eine Situation entstanden, in der keine Krankenhausbetten bereitgestellt werden können". Nach einem Bericht der Behörden von Mai 2020 stehen für die fast 30 Millionen Einwohner Nepals gerade einmal 1595 Betten auf Intensivstationen und 480 Beatmungsgeräte zur Verfügung. Auf rund 140.000 Menschen kommt ein Arzt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Wert bei rund 200 Einwohnern je Arzt.

Die Regierung ist derweil so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum in der Lage ist, die dramatische Corona-Lage zu managen: Die regierenden Kommunisten sind heillos zerstritten, am Dienstag verlor Ministerpräsident Khadga Prasad Sharma Oli, der seit 2018 im Amt ist, eine Vertrauensabstimmung im Parlament.

Nepal Kathmandu | Coronavirus Krise | Krankenhaus
Flaschen-Sauerstoff fehlt an allen Ecken und Enden – auch die dafür nötigen Zylinder Bild: Niranjan Shrestha/AP Photo/picture alliance

Das Coronavirus schert sich jedoch nicht um Regierungskrisen. "Die zweite Welle der Pandemie hat nicht nur das Kathmandu-Tal betroffen, sondern auch verschiedene Städte des Landes sowohl in den Bergen als auch im Terai [Tiefebene an der Grenze zu Indien – Anm. d. Red.]", berichtet Ärztin Parajuli, "so sehr, dass auch die ländlichen Gebiete in Mitleidenschaft gezogen wurden. Sie verschonte nicht einmal die Dörfer in den entlegensten Gebieten." Selbst aus den Basislagern am Mount Everest und am Achttausender Dhaulagiri im Westen des Landes wurden schon COVID-19-Infektionen gemeldet.

Behandlung im Krankenhaus-Innenhof

Nepal ist nach wie vor ein Entwicklungsland. Der Internationale Währungsfond listet den Himalayastaat, gemessen am Bruttosozialprodukt, aktuell auf Rang 144 von 188 Ländern. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, fast jedes zweite Kind ist chronisch unterernährt. Vor allem die armen Menschen in Nepal sind die Leidtragenden der Pandemie.

"Die Behandlung von COVID-19-Fällen ist so kostspielig, dass es für die einfache Bevölkerung unerschwinglich ist, sich in privaten Krankenhäusern behandeln zu lassen, da diese exorbitante Preise verlangen", sagt Sabina Parajuli. "Da es in den staatlichen Krankenhäusern nicht genügend Betten gibt, bleibt vielen Patienten nichts anderes übrig, als sich in der Lobby und auf dem Hof behandeln zu lassen."

Die junge Ärztin sieht noch kein Licht am Horizont: "Leider scheint sich Südasien zum Epizentrum der zweiten Welle von COVID-19 entwickelt zu haben. Anstatt die Situation unter Kontrolle zu bekommen, flammt sie mit jedem Tag mehr auf."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter