Mosambik: Der Terror greift um sich
22. Juni 2022Rosa Bernardo ist dreifache Mutter und wohnte bis vor Kurzem in einem kleinen Dorf etwa 60 Kilometer westlich von Pemba, der Hauptstadt der mosambikanischen Unruheprovinz Cabo Delgado. Dann überfielen sogenannte Al-Shabab-Kämpfer ihr Dorf und setzten Häuser und Hütten in Brand. Die 29-Jährige konnte gerade noch mit ihren Kindern in Richtung Süden fliehen.
Ihr Heimatdorf im Bezirk Ancuabe, in dessen Nähe sich ein großes Graphit-Abbaugebiet befindet, galt bis dahin - aufgrund seiner Nähe zur Provinzhauptstadt - als vergleichsweise sicher. Nun ist es praktisch nicht mehr da: Fast alle Bewohner sind entweder geflüchtet oder tot. Mindestens vier Bewohner sollen im Zuge der Überfälle durch die islamistische Miliz, die Verbindungen zum IS unterhält, enthauptet worden sein.
"Zum Zeitpunkt des Angriffs holte ich gerade Wasser an einer Quelle außerhalb des Dorfs. Nur deshalb sind wir noch am Leben", erzählt Rosa Bernardo dem DW-Reporter. Sie und ihre drei Kinder seien vier Tage lang im Busch herumgeirrt und hätten sich von Wurzeln und Maniok ernährt, bis sie schließlich von Regierungssoldaten entdeckt und in das Flüchtlingslager Corrane in der Nachbarprovinz Nampula gebracht worden seien, erzählt Rosa Bernardo.
Hilfe für Menschen auf der Flucht
Das Schicksal von Rosa Bernardo teilen Tausende andere Menschen aus Cabo Delgado: Allein in den ersten drei Wochen des Monats Juni 2022 mussten nach UN-Angaben schon rund 10.000 Menschen ihre Dörfer verlassen.
"Eine Lösung des seit 2017 schwelenden Kriegs in der rohstoffreichen Provinz Cabo Delgado scheint nach wie vor in weiter Ferne", sagt Alberto Armando, Provinzdelegierter des mosambikanischen Instituts für Katastrophenmanagement (INGD). Im DW-Interview erklärt er, dass es in Corrane - dem größten Zentrum für Binnenvertriebene in Nampula - nur noch Platz für etwa 500 Flüchtlinge gebe. Es werde versucht, allen Menschen das Notwendigste zur Verfügung zu stellen: Zelte, Decken, Nahrungsmittel. Doch es reiche nicht. Die meisten Vertriebenen in Corrane erzählen dem DW-Reporter, sie hätten keine adäquate Unterkunft und müssten an manchen Tagen Hunger leiden.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, ist die Zahl der Binnenvertriebenen aufgrund des Konflikts in Cabo Delgado seit 2017 auf insgesamt 784.000 angestiegen. Die Zahl der Toten wird mit etwa 4000 beziffert. Allein im vergangenen Jahr waren nach UN-Angaben fast 79.000 Menschen in Mosambik aufgrund von Gewalt gezwungen, ihre Dörfer zu verlassen. Die Zahl der Kinder, die durch den Konflikt vertrieben wurden, ist nach Behördenangaben von 370.000 auf mehr als 400.000 gestiegen.
Die militärische Antwort
"Lange Zeit hat die Regierung in Maputo das Problem nicht ernst genommen", sagt der Menschenrechtsaktivist Emídio Beula von der mosambikanischen Nichtregierungsorganisation "Zentrum für Demokratie und Entwicklung" (CDD) im DW-Interview. Das habe sich erst geändert, als die Dschihadisten im März 2020 den wichtigen Küstenort Mocímboa da Praia eingenommen und dort IS-Flaggen gehisst hätten. Nur mit Unterstützung von 2000 Soldaten aus Ruanda, und später 3000 Soldaten aus acht Ländern der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), hätten Regierungstruppen im Jahr 2021 die Gebiete im Norden Cabo Delgados, die unter der Kontrolle der Dschihadisten waren, zurückerobern können.
"Tatsache ist: Durch die Vertreibung der Dschihadisten aus dem Norden Cabo Delgados wurde das Problem nur auf andere Gegenden verlagert", meint Aktivist Beula. Der Bezirk Ancuabo, wo Rosa Bernardo und ihre Familie zu Hause waren, sei jüngst zu einem dieser neu betroffenen Gebiete geworden. "Trotz der offiziellen Darstellung, dass die Terroristen zurückgedrängt würden, hat die Regierung keine Ahnung, wohin die Terroristen fliehen. Das Risiko einer Ausweitung des Konflikts auf die Hauptstadt Cabo Delgados, aber auch in die Nachbarprovinzen Niassa und Nampula, ist größer denn je."
Sicherheitsprobleme gefährden Investitionen
Die Vertreibung sei "ganz klar das Hauptproblem", meint Beula. Doch auch der wirtschaftliche Schaden sei gewaltig: Im Norden der Provinz Cabo Delgado sei das größte Öl- und Gasprojekt des französischen Energiekonzerns Total aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres unterbrochen worden. Deshalb hätten sich die mosambikanischen Sicherheitskräfte zunächst auf die Befreiung der Gebiete in der Nähe des Projekts von Total konzentriert. Das Problem sei aber jetzt auf andere Gebiete weiter südlich verlagert worden.
Nun mussten auch die Graphitabbau-Projekte in der Nähe von Ancuabe aus Sicherheitsgründen ausgesetzt werden. Der Bau eines Solarenergieprojekts in Metoro wurde unterbrochen. Und das britische Unternehmen Gemfields, das in Montepuez im Rubinabbau tätig ist, verwies in einem Statement auf die immer näher rückende Bedrohung durch Terroristen. Es verfolge die Entwicklungen genau und sei im engen Kontakt mit der Regierung. Die Förderung sei aber bisher nicht betroffen.
Erreicht die Gewalt die Provinzhauptstadt Pemba?
Vergangenen Dienstag setzten Dschihadisten, 20 Kilometer von Pemba entfernt, mehrere Häuser und Fahrzeuge in Brand. Der Anschlag galt der Ortschaft Mieze, wo sich das größte Gefängnis Cabo Delgados befindet. "In diesem Gefängnis sind gewalttätige Extremisten inhaftiert", sagt Emídio Beula und fügt hinzu, dass es bereits zwei Versuche gegeben habe, das Gefängnis anzugreifen, um die Terroristen zu befreien: "Wie es scheint, werden die Terroristen immer dreister. Nun kommen die Einschläge näher an die Hauptstadt heran."
Mitarbeit: Sitoi Lutxeque (Nampula)
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Gemfields habe den Rubinabbau in Montepuez eingeschränkt. Diese Aussage wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.