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Moralisches Dilemma online

Ina Rottscheidt21. Februar 2005

Sollten Krankenkassen die DNA ihrer Patienten speichern? Darf man Medikamente nutzen, die in der Embryonenforschung entstanden sind? Das Onlinespiel "gen.ethix" rückt den Bioethik-Diskurs in den Alltag.

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Was darf Biotechnologie?Bild: AP

Die Mutter von Lisa und Monika war noch nicht mal 50, als sie ins Pflegeheim musste. Diagnose: Die Huntington'sche Krankheit, die zu einem schleichenden Verlust der Kontrolle über Körper und Verstand führt. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent haben ihre beiden Töchter diese Krankheit geerbt. Sollten Lisa und Monika einen Gentest machen? Und was würde der überhaupt bringen?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich "gen.ethix". Das Online-Spiel ist ein Gemeinschaftsprojekt der Gruppe "Bioethik und Wissenschaftskommunikation" des deutschen Humangenomprojektes und der Multimediaabteilung der Fachhochschule Potsdam. "Wir wollen zum Nachdenken auffordern, informieren und die Spieler dazu bewegen, alle Argumente zu betrachten und sich dann eine durchdachte Meinung zu bilden," erklärt Jörg Wadzeck, einer der Mitinitiatoren des Projektes.

Ethik muss keine trockene Theorie sein

"gen.ethix" ist ein Entscheidungsspiel zu Fragen der biotechnologischen Zukunft. Zwar eröffnet die Fortentwicklung der Biomedizin neue Chancen und Therapien - sie birgt aber auch Risiken, die heute noch nicht absehbar sind. Um so wichtiger war es für die Initiatoren des Projektes, dass bioethische Fragen nicht allein auf die Fachwelt beschränkt bleiben. Der Zugang zur Ethik sei jedoch häufig theorielastig, findet Ali Ben Salem, Bioethiker am Max-Delbrück-Centrum für molekulare Medizin. "Ein ethisches Urteil setzt Betroffenheit voraus. Ohne praktischen Bezug ist das nicht möglich."

Daher wählten die Forscher realistische Fallbeispiele: Mit einer virtuellen Spielfigur rückt der User über den Bildschirm und wählt zwischen verschiedenen Themen der Bioethik. Fiktive Fälle versetzen ihn dann in konkrete ethische Konfliktsituationen: Was tun, wenn die Krankenkasse für ein viel versprechendes Pilotprojekt wirbt, bei dem auf dem Chip der Versichertenkarte auch die komplette DNA-Sequenz gespeichert ist? Und wie bedenkenlos kann man ein Medikament gegen Parkinson nutzen, wenn es durch verbrauchende Embryonenforrschung entwickelt wurde?

Keine vorgegebenen Antworten

Die Antwort muss der Spieler jedoch selbst finden: "Wir können und wollen keine Antworten auf moralische Dilemmata geben", so Wadzeck. Dafür liefert das Spiel Entscheidungshilfen in Form zahlreicher Sachinformationen, Interviews und persönlichen Kommentaren von Experten aus Forschung, Politik, Religion und Ethik Statements - für alle Positionen.

Überraschende Ergebnisse

Alle Entscheidungen und Kommentare sind schließlich in einer öffentlichen "Memothek" einsehbar, anonym versteht sich. Und so manches Ergebnis überraschte selbst die Wissenschaftler. "Die Mehrheit der Menschen ist sehr viel offener für Biomedizin und neue Therapieansätze als ich gedacht hätte", so Salem. Im fiktiven Fall von Monika und Lisa würden sich immerhin 71 Prozent der Spieler per Gentest Klarheit über eine mögliche Erbkrankheit verschaffen. Nur ein Bruchteil der User war der Meinung, das Wissen um die Krankheit sei belastender als die Ungewissheit.

Als Grund für diese mehrheitliche Offenheit vermutet Salem: "Wir haben die Beobachtung gemacht, dass die Öffentlichkeit misstrauischer wird, je besser sie informiert ist." Das Ergebnis sei aber möglicherweise auch altersbedingt, denn die Mehrheit der Spieler ist unter 40. Das hinge aber vor allem mit dem Internet als Medium zusammen, so Salem.

Hauptsache alltagsnah

Derzeit ist das Spiel auf drei ethische Konfliktszenarien beschränkt. Im Falle einer Erweiterung, was vor allem eine finanzielle Frage ist, kann sich Salem auch schon das nächste Thema vorstellen: Vaterschaftstests. "Wir wählen lebensnahe Fallbeispiele aus, um die Öffentlichkeit für bioethische Fragen zu interessieren. Die aktuelle Debatte um heimliche Vaterschaftstests zeigt, dass das Thema akuter denn je ist."

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