Den Göttern "gleich"?
27. September 2002Vom geklonten Schaf Dolly zum perfekten Kind nach Wunsch ist es nur ein kleiner Schritt - wissenschaftlich gesehen. Die moderne Medizin ist in der Lage, Leben zu klonen und es genetisch zu verändern und es damit mehr und mehr den eigenen Vorstellungen entsprechend zu modellieren.
Horrorszenarien wie aus 'Frankenstein' oder Aldous Huxleys Roman 'Brave New World' sind jedoch nur die eine Seite. Warum sollte die moderne Medizin nicht alle Möglichkeiten der Gentechnik für sich nutzen um beispielsweise den Kampf gegen bisher unheilbare Krankheiten voranzutreiben?
Diese Grenzen zu beleuchten ist Aufgabe der Bioethik. Eine öffentliche Debatte ist gefragt, in der das wissenschaftlich Mögliche und die Würde des Menschen immer wieder aufs Neue verhandelt werden. Bundespräsident Johannes Rau äußerte in seiner Eröffnungsrede auf dem Bonner Philosophenkongress den Wunsch, die Philosophie möge sich stärker in den "Streit um die Grenzen des Lebens" einmischen.
"Formelles Gewissen" der Menschheit
Auf dem Kongress, der am Freitag (27. September) endet, diskutierten Teilnehmer aus 19 Nationen nicht nur über die Rolle der Philosophie für die Bioethik. Auch das wachsende Bedürfnis der Menschen nach Spiritualität in einer Welt des "kruden Naturalismus" und "brutalen Materialismus" seien erörtert worden, so Wolfram Hogrebe, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, im Gespräch mit DW-WORLD. Ebenso die Vermittlerfunktion der Philosophie zwischen islamischer und westlicher Welt.
In der Debatte um die Bioethik spielt die Philosophie spätestens seit Peter Sloterdijks Vortrag "Regeln für den Menschenpark" von 1999 eine von der Öffentlichkeit wahrgenommene Rolle. Der Philosoph hatte in dem umstrittenen Vortrag genetische Manipulation als eine notwendige Fortsetzung der menschlichen Entwicklungsgeschichte dargestellt. Mittlerweile sind in nahezu allen Ethik-Kommissionen Philosophen vertreten. Sie teilen in der Regel nicht Sloterdijks Thesen.
"Angesichts ihrer technischen Möglichkeiten brauchen die Menschen die Kraft zur Selbstbegrenzung", sagt Hogrebe. Die Philosophie könne zur Problemerkenntnis beitragen, auch im Diskurs über die Biotechnologie. Hogrebe sieht die Aufgabe der Philosophie darin, das "formelle Gewissen der Menschheit" zu sein. Aber: "Philosophie ist kein Orakel für alle Lebensfragen. Sokrates nannte seine philosophische Methode 'Hebammenkunst'. Sie hilft bei der Geburt von Gedanken, aber sie ist keine Abholstation für Weisheit," sagt Hogrebe.
Herausforderung für die Bioethik
Ein Grenzgänger und Mittler zwischen Naturwissenschaften und Philosophie ist der Heidelberger Mediziner und erimitierter Professor für Philosophie, Wolfgang Wieland. "Medizinischen Fortschritt muss es geben", sagt Wieland im Gespräch mit DW-WORLD. "Die Frage ist jedoch, wie weit darf man gehen? Jedenfalls soweit die Menschenwürde und Menschenrechte nicht angetastet werden."
Neben der Gen-Debatte sieht Wieland weitere große Herausforderungen für die Bioethik: vor allem im Zwang zur Rationalisierung medizinischer Versorgung und der Euthanasie-Debatte. So sei in den Niederlanden zu beobachten, dass Euthanasie nicht mehr nur erfolge, wenn ein Todkranker selbst den Wunsch zu Sterben äußere. Oft würden andere entscheiden, wann ein Leben nicht mehr lebenswert sei und der Patient sich nicht mehr selbst äußern kann.
Klonen in Singapur? - Forderungen an die Politik
Bioethik sei ein globales Thema, meint Wieland, man denke nur daran, dass das menschliche Klonen in Kontinentaleuropa untersagt ist, in Singapur aber durchaus erlaubt werden könnte. Daher müsse die Politik diese Probleme lösen – die Philosophie könne aber sittliche Normen aufzeigen, die über alle Grenzen hinweg gültig seien. Wieland räumt aber ein: "Im Raum, in dem politische Entscheidungen getroffen werden, ist der Einfluss der Philosophie aber bedauerlicherweise sehr gering." Der Philosophie fehle eine Lobby.