Ein Kölner Punker wird Supermodel
23. Juni 2009Der soll Model sein? Glaub ich nicht. Das ist mein erster Gedanke, als ich David Schumann treffe. Der groß gewachsene, schlaksige Typ trägt Jeans, hat verstrubbelte, kurze, braune Haare, die Arme voller Tätowierungen und das T-Shirt einer Rockband. Wirklich gut sieht er nicht aus - eher so, als hätte er schon zu viele Nächte durchgemacht und die Sonne nicht häufig genug gesehen. Sehr freundlich und offen erzählt der 33-Jährige von seinem ungewöhnlichen Leben. Eigentlich ist David Schumann Musiker, Übersetzer und Autor. Er schreibt, seit er 17 ist, damals noch auf der alten Schreibmaschine seiner Mutter und immer schon über Musik. Punk ist sein Genre – daher auch der abgerockte Look. In der Punk- und Hardcore-Szene von Köln hatte er seine Freunde gefunden und ein Ventil, wie viele andere, die nach einem Leben abseits vom bürgerlichen, normalen Standard suchen, abseits vom Mainstream. Schumann lässt sich treiben und genießt das ziellose Leben. Nach einem unmotivierten Studium der Germanistik und Anglistik sattelt Schumann 2003 um auf Japanologie. Das Land hat ihn immer interessiert, aber erst mit 27 hat er den Mut, die komplizierte Sprache mit den unzähligen Schriftzeichen und zwei Alphabeten zu lernen – ein Auslandssemester in Tokio soll dabei helfen.
Big in Japan
Als ihn dort eine Frau auf der Straße anspricht und um Fotos bittet, hält er sie für eine der Vielen, die sich mit einem Ausländer schmücken wollen. Die Bilder von dem Foto-Shooting landen dann aber in einem Hochglanzmagazin, und eine der größten Modelagenturen Tokios nimmt Schumann unter Vertrag. Der linke Anti-Globalisierungs-Punker soll für die dekadente Modewelt arbeiten und sogar eines ihrer Aushängeschilder werden? Ein Spagat, den Schumann gelassen hinnimmt. Wovon andere träumen, wird für ihn einfach nur ein gut bezahlter Job, von dem er seine Miete und seinen Lebensstil finanziert. "Ich sag nicht, ich bin Model, und ich kann auch nicht verstehen, wie Menschen so oberflächlich und dumm sein können, sich nur über ihr Äußeres definieren zu lassen." An zwei, drei Tagen in der Woche geht Schumann zu Foto-Shootings in und um Tokio. Seinen Look kann er meist beibehalten – gerade das Verbrauchte, Abgerockte gefällt den Modemachern.
"Zeig mir deine Zähne"
Mit dem Rest der Zeit weiß der Punker viel anzufangen. Neben seinem Japanologie-Studium und ein paar Übersetzer-Jobs erlebt der Kölner exzessive Sauftouren, durchfeierte Nächte in den für Tokio typischen Karaoke-Schuppen und so viele Konzerte, wie in eine Nacht passen – immer auf der Suche nach weltoffenen Menschen und "hübschen japanischen Frauen". Seine wilden Geschichten schreibt er in ein Tagebuch und veröffentlicht nach zwei Jahren Japanaufenthalt im März 2009 einen Tagebuch-Roman.
Auch der Kulturschock und die Einsamkeit kommen in den "Tokyo Diaries" zu Wort. "Du wirst kaum eine Diskussionskultur finden wie in Deutschland." Nationalismus, Ignoranz und längst überholte Geschlechterrollen – auch das ist in Japan Alltag. Trotzdem, Schumann liebt das verrückte Leben in Tokio. Er beschließt zurückzukommen und pendelt mittlerweile zwischen Köln und Tokio.
Schumann ist davon überzeugt, dass jeder modeln könnte, sogar Schimpansen. "Dafür braucht man wirklich kein Talent. Guck mal gelangweilt, zeig mir deine Zähne – das sind meine Aufgaben." Und von hundert Fotos ist mindestens eines gut. Vermutlich unterschätzt Schumann, dass gerade seine Gelassenheit ihm die nötige Ausstrahlung verschafft.
Autorin: Emily Thomey
Redaktion: Aya Bach