"The Tokyo Diaries" von David Schumann
17. April 2009Tausende Kilometer von zu Hause entfernt, allein in einer anderen Welt, mit einer anderen Kultur, einer fremden Sprache. Um diese Erfahrung geht es – kurz gesagt – in David Schumanns autobiografischen Roman „The Tokyo Diaries“. Schumann entscheidet sich, für zwei Austauschsemester nach Japan zu gehen. Und schreibt dort Tagebuch. Das Ergebnis ist sein Roman. Eine sehr persönliche Schilderung – in der es um die ganz alltäglichen Schwierigkeiten geht, auf die er in der Ferne stößt. Inklusive der Einsamkeit, insbesondere der Sehnsucht nach einer Frau:
Dieses Gefühl, gebraucht, gut gefunden zu werden, dass da gerade jemand ist, der nichts lieber wollen würde, als seine Zeit mit einem zu verbringen, der neben dem Telefon ausharrt, in der Hoffnung, es möge ein Anruf oder eine SMS kommen: weit entfernt. So weit, dass ich nur noch weiß, dass da mal was war, den Verlust noch spüren kann, aber nicht mehr das Gefühl dessen, was ich eigentlich verloren habe. Jemand, der denkt , ich wäre genau der oder das Richtige? Der alles in seinen Kräften stehende tun würde, mich zu sehen, zu treffen, zu sprechen, zu küssen, neben mir einzuschlafen? Wie ein Schleier aus fernster Vergangenheit.
Drei zentrale Themen gibt es, die in „The Tokyo Diaries“ immer wieder auftauchen: neben den Frauen, mit denen es anfangs so gar nicht klappen will, ist da noch die Musik. Schumann ist begeisterter (Punk-)Rockfan, spielt in einer Band mit und schreibt auch oft über CDs, die ihn gerade bewegen oder über Konzerte, die er besucht. Da es sich bei den genannten Bands nicht um Mainstream handelt und einige Namen wohl nur Fans etwas sagen, sind diejenigen, die sich mit dieser Musikrichtung nicht auskennen, an den betreffenden Stellen des Buches etwas verloren. Was sich aber durchaus verschmerzen lässt – da der Roman temporeich und mit viel Wortwitz geschrieben ist. Zum Beispiel, wenn es um das andere große Thema geht: das Modeln. Durch Zufall wird David Schumann als Model entdeckt und schafft es trotz zahlreicher Tattoos auf die Laufstege Tokyos. Eine Tätigkeit, die ihm hilft, sich finanziell über Wasser zu halten, der er aber auch mit einer gewissen Distanz und Selbstironie gegenübersteht:
Als ich beim Geschminktwerden zum ersten Mal seit dem Aufwachen in den Spiegel sehe, sterbe ich fast durch Herzinfarkt. Was für eine kaputte Alkleiche. Der Designer findet es auf jeden Fall super. Und im Endeffekt ist es auch gar nicht so schlecht, dass ich von der ganzen Show in meinem Delirium so gut wie gar nichts mitkriege, denn, wie könnte es auch anders sein, der Designer (derselbe wie in Osaka!) hat wieder mal sein Lieblingsthema „uncool“ gewählt. Ich trage Jeans-Hotpants, Cowboystiefel, eine Amiflagge anstelle eines T-Shirts und auf dem Kopf einen riesigen Indianerhäuptling-Federkranz, unter dessen Gewicht ich fast kollabiere.
Einen großen Vorteil bringt das Modelgeschäft für David Schumann eindeutig mit sich: Denn plötzlich funktioniert es endlich mit den Frauen. Er hat eine Freundin, und daneben zahlreiche Flirts und auch One-Night-Stands. Und die beschreibt der Autor auch immer sehr direkt.
Ich weiß, dass es nichts Tiefergehendes ist, was ich da empfinde, wenn ich mit ihr rede. Aber ich will sie trotzdem berühren, küssen, Sex mit ihr haben. Sie sagt mir, dass sie weibliche Körper sexy findet. Ich frage sie, ob sie es schon mal ausprobiert hat, sie verneint. Sie will, dass ich die weiche Haut ihrer Hände berühre, sie würden sich anfühlen wie Katzenpfoten, meint sie. Sie hat recht.
Auch derbe Ausdrücke gehören zum Standard-Wortschatz in „The Tokyo Diaries“. Die Sprache ist einfach, teilweise grob. Eine Tatsache, die aber mit dazu beiträgt, dass der Roman authentisch wirkt. Der Autor gewährt dem Leser immer wieder Einblicke in sei Gefühlsleben. Und das fährt oft Achterbahn:
Lange kein Eintrag mehr. Und jetzt wieder Deprischeiß. Die letzten Wochen zwischen Fotoshootings, Modelshows und Unistress verbracht. Midterm Exams. Kaum Zeit zur Vorbereitung gehabt. Ziemlich verhauen. Ab und zu Bandproben und Partys. Nachts allein zu meinem Gefängniszimmer zurückkommen. Viel trinken, oft auch allein. In einer Stadt mit acht Millionen Einwohnern.
„The Tokyo Diaries“ ist die authentische Schilderung der Höhen und Tiefen, die ein junger Mensch in der Fremde erlebt. Ein Buch, das zu lesen sich lohnt.
David Schumann: The Tokyo Diaries
Broschiert: 300 Seiten
Verlag: Rockbuch (Erscheinungsdatum 12. März 2009)
Preis: € 16,90
Autorin: Esther Broders / Redaktion: Mathias Bölinger