Gedenken an Modedesigner Yves Saint Laurent
1. August 2021Yves Saint-Laurent galt als Genie, als Wunderknabe, als ein "Rattenfänger der Mode". Doch ein Adjektiv beschreibt den verstorbenen französischen Designer wohl am besten: "revolutionär". Immerhin steckte er Frauen in Männerkleidung, verband Mode und Kunst und setzte auf Diversität auf dem Laufsteg.
Kleider für Papierpuppen
Am 1. August 1936, vor 85 Jahren, kam Yves Henri Donat Mathieu-Saint-Laurent im algerischen Oran zur Welt. Mitschüler schikanierten den schüchternen Jungen wegen angeblicher Verweichlichung. Zuflucht fand er darin, Kleider für Papierpuppen zu entwerfen. Aus Kleidungsstücken seiner Mutter entwarf er Miniatur-Couture-Ensembles für seine "Modelle" und später auch Kleider für seine Mutter und seine Schwestern. Als 17-Jährigen zog es Yves Saint-Laurent nach Paris, in die Welthauptstadt der Mode, wo er 1954 im Wettbewerb um den Woolmark Prize in der Kategorie Kleidungsdesign seinen gleichaltrigen und späteren Rivalen Karl Lagerfeld auf die Plätze verwies. Ein Jahr später band Christian Dior das Modetalent an sich, dessen Entwürfe ihn begeisterten. Als Dior 1957 unerwartet an einem Herzinfarkt starb, wurde Yves Saint Laurent zum neuen Kreativdirektor der Marke ernannt. Da war er 21 Jahre alt.
Schons seine für die Dior-Frühjahrskollektion 1958 entworfene Trapez-Linie mischte die Branche auf: Yves Saint-Laurent wandte sich von der für seinen Mentor charakteristischen engen Taille ab und ersetzte sie durch eine leichtere, fließendere, aber nicht weniger elegante Silhouette - was die Taille der Frauen emanzipierte.
"Der Stil ist ewig"
Doch erst sein ikonischer "Le Smoking" begründete Yves Saint Laurents Ruf als einer der wichtigsten Designer des 20. Jahrhunderts. Da hatte er Dior bereits verlassen. 1961 gründete er sein eigenes Label mit seinem langjährigen Geschäfts- und einstigen Lebenspartner Pierre Bergé, der seine avantgardistische Bestrebungen förderte.
Die Herbst-Winter-Couture-Kollektion Yves Saint Laurents 1966 präsentierte einen schwarzen, maßgeschneiderten Smoking mit einem seitlichen Satinstreifen, der mit einem weißen, gerüschten Hemd getragen wurde. Die Lounge-Jacke, in den 1850-er Jahren ursprünglich von Männern in Raucherzimmern getragen, um die Kleidung vor Zigarrengeruch zu schützen, brachte Yves Saint-Laurent auf eine revolutionäre Idee: Frauen könnten doch Smokings als Abendgarderobe tragen!
Auch zuvor hatten Frauen "männliche Kleidung" angezogen. Die Schauspielerinnen Marlene Dietrich und Greta Garbo etwa waren damit schon in den 1930er Jahren aufgetreten. "Le Smoking" von Saint Laurent jedoch stach heraus – war es doch ganz und gar auf die weibliche Silhouette zugeschnitten. "Für eine Frau ist Le Smoking ein unverzichtbares Kleidungsstück", sagte Yves Saint-Laurent einmal, "denn es geht um Stil, nicht um Mode. Die Moden kommen und gehen, aber der Stil ist ewig!"
Geschlechtsunabhängige Mode
So wurde "Le Smoking" in den 1960-er Jahren schnell zu einem Symbol der Emanzipation. Und zum Stoff, aus dem Legenden gemacht sind: Zu den erklärten Fans gehörten Bianca Jagger, die bei ihrer Hochzeit mit dem Rolling-Stones-Frontmann Mick Jagger eine weiße Version trug - ohne Rüschenhemd -, und Saint Laurents Muse, die französische Schauspielerin Catherine Deneuve.
Als die New Yorker Prominente Nan Kempner aus dem Nobelrestaurant Le Cote Basque geworfen werden sollte, umging sie die Kleiderordnung, indem sie ihre Hose auszog und nur den Blazer als Minikleid trug. Andere traditionell männliche Kleidungsstücken, die Yves Saint-Laurent dekonstruierte und mit einem femininen Touch versah, waren Nadelstreifenanzüge, Safarijacken und Jumpsuits. Seine durchsichtigen Organzakleider- und blusen waren eine Anspielung auf die sexuelle Revolution der 1960-er Jahre.
Ein Aufruhr der Farben
Als Kunstliebhaber outete sich Yves Saint-Laurent mit seinem Mondrian-Schichtkleid, ihrerseits eine Aufsehen erregende Innovation: Seine im Winter 1965 lancierten Cocktailkleider aus Wolljersey und Seide in A-Linie waren mit den Pop-Art-Werken des niederländischen Künstlers Piet Mondrian bedruckt und setzten damit einen neuen Trend zur Verbindung von Kunst und Haute Couture. Für seine Frühjahr-Sommer-Kollektion 1988 entwarf er vier reich bestickte Jacken, die an Vincent van Goghs Gemälde Sonnenblumen und Schwertlilien erinnerten. Eine der Sonnenblumenjacken, von Naomi Campbell auf dem Laufsteg getragen, wurde 2019 für umgerechnet 382.000 Euro an die National Gallery of Victoria im australischen Melbourne versteigert.
Auch Yves Saint Laurents zweite Wahlheimat Marokko hat ihn in seinen Kollektionen, ihren Farben und Texturen beeinflusst. "Mir fiel besonders das Licht der Farben auf", sagte der Designer einmal. "An jeder Straßenecke in Marrakech trifft man erstaunlich lebendige Gruppen von Männern und Frauen, die in einer Mischung aus rosa, blauen, grünen und violetten Kaftanen herumlaufen", zitiert ihn die Website des Yves Saint Laurent Museums in Paris.
Vielfalt auf dem Laufsteg
Als einer der ersten Designer schickte Saint Laurent auch schwarze Frauen auf seinen Laufsteg: Iman Abdulmajid, Katoucha Niane und Dalma Callado gehören zu denen, die seine Kreationen vorführten. "Mein erstes Vogue-Titelbild habe ich diesem Mann zu verdanken", sagte Supermodel Naomi Campbell einmal dem britischen Sender Channel 4 News. "Als ich zu ihm sagte: 'Yves, sie wollen mir kein französisches Vogue-Cover geben, sie wollen kein schwarzes Mädchen auf das Cover setzen', sagte er: 'Ich kümmere mich darum'. Und das tat er."
Yves Saint Laurents Faszination für Diversität stieß nicht überall auf Gegenliebe. Als er zum Beispiel zeitgleich mit seiner Herbst-Winter-Kollektion 1977 ein neues, von China inspiriertes Parfüm auf den Markt brachte, sorgte dessen Name für Aufruhr. "Opium" wurde zunächst in Australien und im Nahen Osten verboten. Eine Gruppe chinesischer Amerikaner gründete die American Coalition Against Opium and Drug Abuse (Amerikanische Koalition gegen Opium- und Drogenmissbrauch) und forderte Saint Laurent auf, den Namen des Parfums zu ändern und sich für seine "mangelnde Sensibilität gegenüber der chinesischen Geschichte und den chinesisch-amerikanischen Anliegen" zu entschuldigen. Der Duft entpuppte sich als Verkaufsschlager und blieb es bis heute.
Keine Blue Jeans
Das Einzige, was Yves Saint Laurent bedauerte, war, dass nicht er die Blue Jeans erfunden hat. "Sie haben Ausdruck, Bescheidenheit, Sexappeal und Schlichtheit - alles, was ich mir von meiner Kleidung erhoffe", ließ er sich zitieren. 1983, im Alter von 47 Jahren, wurde Saint Laurent als erster lebender Designer mit einer Retrospektive im Costume Institute des Metropolitan Museum of Art geehrt. Im Jahr 2017 eröffnete sein Partner Bergé zwei Museen - in Paris und in Marrakech - in denen Tausende seiner Kleidungsstücke und Skizzen ausgestellt sind.
Saint Laurent war Zeit seines Lebens Raucher und kämpfte auch mit einer Kokain- und Alkoholsucht. Am 1. Juni 2008 starb er an einem bösartigen Hirntumor. Es klang wie sein Vermächtnis, was er bei seiner letzten Haute-Couture-Show im Jahr 2002 in die Reporterblöcke diktiert hatte: "Ich wollte mich immer in den Dienst der Frauen stellen. Ich wollte sie bei der großen Befreiungsbewegung im letzten Jahrhundert begleiten."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.