Salman Rushdie wird 75
19. Juni 2022Unlösbar sind Person, Leben und Werk von Salman Rushdie mit einem Datum verknüpft: dem 14. Februar 1989. An diesem Tag verurteilte der iranische Religionsführer Ayatollah Khomeini den Schriftsteller mit einer Fatwa zum Tode. Begründet wurde der islamische Richtspruch damit, dass Rushdies Buch "Die satanischen Verse", ein Jahr zuvor erschienen, "gegen den Islam, den Propheten und den Koran" gerichtet sei. Gotteslästerung habe der Schriftsteller begangen, und mit ihm alle, die zur Publizierung und Verbreitung des Roman beigetragen hätten. Sein japanischer Übersetzer Hitoshi Igarashi kam 1991 durch ein Attentat um, dessen italienischer Kollege Ettore Capriolo und der norwegische Verleger William Nygard überlebten Anschläge schwer verletzt.
Leben mit der Todesdrohung
Freiheit ist gezwungenermaßen zu seinem Lebensthema geworden. Viele Jahre lebte er unter Polizeischutz in verschiedenen Verstecken. Erst seit einiger Zeit tritt er wieder öffentlich auf. Über sein Leben unter der Todesdrohung berichtet der Autor, den Königin Elisabeth II. allen Protesten aus Teheran zum Trotz 2007 in den Adelsstand erhob, in seiner Autobiografie "Joseph Anton" von 2012 - seinem Tarnnamen im Versteck, den er aus den Namen seiner literarischen Inspiratoren Joseph Conrad und Anton Tschechow bildete.
"Wir müssen unsere wertvolle und hart erkämpfte Freiheit verteidigen", sagte Rushdie 2015 imInterview mit der Deutschen Welle. "Wir müssen für sie kämpfen, wenn es sein muss." Immer wieder hält er sein Plädoyer für die Meinungsfreiheit: nach den tödlichen Anschlägen auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo, als ihn sein rückhaltlos unkritisches Eintreten für die Redakteure und Karikaturisten einige alte Freundschaften kostete. In Deutschland auf der Frankfurter Buchmesse 2015, als mit Indonesien das größte islamische Land Ehrengast war, beim Münchner Literaturfest oder dem Internationalen Literaturfestival in Berlin. "Redefreiheit sollte wahrgenommen werde wie die Luft, die wir atmen: als selbstverständlich."
Kindheit in Mumbai
Salman Rushdie, geboren 1947, wuchs in der kosmopolitischen und toleranten Atmosphäre Bombays auf, dem heutigen Mumbai. Über seine Kindheit in Indien sagte er einmal, sie habe ihn mit einem "Lagerhaus an fantastischen Erzählungen" beschenkt, "wundervolle Geschichten aller Art". Seine Familie stammte ursprünglich aus Kaschmir. Im indischen Delhi war der Vater zum wohlhabenden Geschäftsmann geworden.
Die Familie konnte es sich leisten, ihren Sohn mit vierzehn Jahren auf ein britisches Elite-Internat zu schicken. 1964 wurde Rushdie britischer Staatsbürger und Englisch, nicht seine Muttersprache Pashtu, zu der Sprache, in der er schrieb. Er studierte Geschichte am King's College in Cambridge und nahm Theaterunterricht, 1968 schloss er sein Studium ab. "Ich war ein typischer Vertreter der 68er-Generation", sagte er später über sich selbst.
Sein Berufsleben begann er als Journalist, Schauspieler und Werbetexter, doch schon nach vier Jahren wurde die Arbeit in einer Agentur zur Nebensache. Er publizierte einen ersten, wenig beachteten experimentellen Roman, "Grimus". Doch schon mit seinem zweiten Buch "Mitternachtskinder" erlangte er internationalen Ruhm. Der Roman über eine Familie während der Unabhängigkeitswirren des indischen Staates wurde mit dem Man-Booker-Preis ausgezeichnet, in Großbritannien und den USA zum Bestseller.
Kampf um Wahrheit
Im Laufe der Jahre hat Salman Rushdie viele weitere Romane, Essays und eine Autobiografie veröffentlicht. Nicht alle zeichneten sich durch hohe literarische Qualität aus, doch "Die Mitternachtskinder", "Die satanischen Verse", "Des Mauren letzter Seufzer" und "Joseph Anton" sind zu Klassikern der Weltliteratur geworden. Keines seiner Bücher war unumstritten, Auseinandersetzungen um seine Werke gab es auch außerhalb der islamischen Welt. Beispielsweise löste der Roman "Wut" um einen Geisteswissenschaftler, der Frau und Kind in London verlässt und in New York ein neues Leben beginnt, in Großbritannien und den USA eine heftige Kontroverse aus.
Rushdies Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. "Die Literatur, welche Technik auch immer sie verwendet, realistisch oder fantastisch, versucht einem eine Form der Wahrheit über das menschliche Wesen zu vermitteln", erläutert er. Wahrheit, die er als Konzept zunehmend in Gefahr sieht, steht auch im Zentrum seiner jüngsten Veröffentlichung, einer Sammlung von Essays, die in Deutschland unter dem Titel "Sprachen der Wahrheit" herauskam.
Dass er bald in den Ruhestand gehen könnte, deutet sich auch mit 75 keineswegs an. Im Gegenteil, immer wieder mischt sich Rushdie selbst in hitzig geführte gesellschaftliche Debatten ein und scheut sich nicht davor anzuecken. Beispielsweise ist er kein Fan der auch als "Cancel-Culture" bezeichneten Bereitschaft, bestimmte Meinungsäußerungen - selbst aus gut gemeinten Gründen - zu unterdrücken. Rushdie formuliert es so: "Es gibt kein Recht darauf, nicht gekränkt zu werden."
Dies ist eine aktualisierte Fassung eines Artikels von 2017