Mit Ratten gegen Tuberkulose
24. März 2014Christophe Cox arbeitet mit ganz besonderen Kollegen zusammen: Auf der Webseite seiner Organisation präsentiert er sich mit einer Riesenhamsterratte auf der Schulter. Die Ratte ist in großen Teilen Afrikas heimisch. Christophe Cox ist Geschäftsführer der belgischen Nichtregierungsorganisation Apopo mit Sitz im tansanischen Ort Morogoro. Die Initiative hat sich darauf spezialisiert hat, Ratten zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen. In Tansania und Mosambik sollen die Nager helfen, Tuberkulose zu diagnostizieren. Und zwar durch ihre gute Nase: "Ratten sind Nachttiere. Sie sind fast blind und verlassen sich ganz auf ihren Geruchssinn", sagt Cox. "Sie vergraben auch ihre Nahrung unter der Erde und spüren sie mit der Nase wieder auf."
Vor einigen Jahren kam den Mitarbeitern von Apopo die Idee: Auch viele Krankheitserreger haben einen spezifischen Geruch. Sie setzten die Ratten auf Tuberkulose an - eine ansteckende Krankheit mit tödlichem Ausgang.
Fast neun Millionen Neuinfektionen verzeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr. In ihrem Ausmaß sei die Krankheit vergleichbar mit AIDS, sagt Mario Raviglione, der Leiter des Globalen Tuberkulose-Programms der WHO. "Jedes Jahr sterben 1,3 Millionen Menschen an der Tuberkulose und 1,6 Millionen an HIV/AIDS. Das sind die größten Killer unter den ansteckenden Krankheiten." In Tansania werden jährlich rund 79.000 Infektionen erfasst.
Die Zahl der Kinder, die jährlich an Tuberkulose erkranken, ist einer Studie zufolge deutlich höher als bislang angenommen. Jedes Jahr erkrankten 999.800 Kinder unter 15 Jahren an der Krankheit, heißt es in einer zum Welttuberkulosetag am Montag (24.03.2014) in der britischen Fachzeitschrift «The Lancet» veröffentlichten Studie.
Wo Menschen versagen
Das Team von Apopo setzte den Ratten Speichelproben von Tuberkulose-Patienten und von Nicht-Infizierten vor. Schnell lernten die Tiere, beide zu unterscheiden. 2003 gewann der Forschungsansatz der Initiative bei einem Ideenwettbewerb der Weltbank. Der Startschuss war gegeben. In der tansanischen Sokoine-Universität begannen die Mitarbeiter weitergehende Forschungen. Fünf Jahre später gelang ihnen der Beweis: Ratten erkennen Tuberkulose. Und sie sind dabei sehr schnell - schneller als ihre menschliche Konkurrenz: "Ein Labortechniker muss sehr oft in die Probe hereinzoomen, um Tuberkulose ausschließen zu können", sagt Cox. "Das ist eine zeitaufwändige, ermüdende Arbeit." Die WHO empfehle daher, nicht mehr als 25 Proben am Tag zu untersuchen. "Das Arbeitspensum eines Technikers schafft die Ratte in sieben Minuten."
Dazu kommt, dass die Krankheitserreger für das menschliche Auge schwer zu erkennen sind. Das bestätigt WHO-Experte Raviglione. "Bei der gängigen, einfachsten Untersuchungsmethode mit dem Mikroskop werden nur 50 Prozent aller Krankheitsfälle entdeckt." In allen anderen Fällen seien zu wenig Krankheitserreger in der Probe enthalten, um sie unter dem Mikroskop zu erkennen. Hier kommen die Ratten ins Spiel. Apopo kooperiert bereits mit 21 Krankenhäusern in Tansanias Metropole Daressalam, die selbst Tuberkulosetests durchführen. Die Krankenhäuser schicken ihre Proben mit negativen Ergebnissen nach Morogoro. Dort untersuchen die Schnüffler sie ein zweites Mal. Ist der zweite Test positiv, werden die Krankenhäuser informiert, um die Patienten ausfindig zu machen, wie Christophe Cox betont. "Wenn sie nicht wissen, dass sie erkrankt sind, gehen diese Menschen nach Hause und übertragen die Krankheit weiter an Familienangehörige und Kollegen."
"Adopt a rat"
Sichere Wege, Tuberkulose schnell zu diagnostizieren, sind also dringend notwendig. Das sagt auch Raviglione von der WHO. Doch ihm ist wichtig: "Die Tests müssen einfach sein. Und sie müssen direkt vor Ort durchführbar sein." Das sei wichtig, um auch in ländlichen Regionen möglichst viele Menschen zu erreichen. Was die Ratten-Experimente angeht, bleibt Raviglione aber skeptisch. Das sei ein innovativer Ansatz, sagt er: "Ich frage mich nur, ob sich diese Tests auch dort umsetzen lassen, wo wir sie am nötigsten brauchen, nämlich in der Peripherie."
In Morogoro ist man indes überzeugt von diesem Ansatz. Die Riesenhamsterratte sei sehr gut an die örtlichen Gegebenheiten angepasst, wiederstandsfähig und kostengünstig in der Pflege, wirbt die Oganisation auf ihrer Website. Dennoch: Neun Monate sind nötig, um eine Ratte auszubilden. Apopo setzt daher auf ein innovatives Finanzierungsmodell: Wer das Projekt unterstützen möchte, kann eine Ratte symbolisch "adoptieren": Die Paten zahlen dann für die Ausbildung einzelner Tiere und werden über deren Erfolge informiert.