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Mit einem Klick in den Knast

Roman Goncharenko20. Juli 2016

Es reicht, die Annexion der Krim zu kritisieren. Immer mehr russische Internetnutzer landen im Gefängnis. Mit neuen Anti-Terror-Gesetzen, die nun in Kraft treten, wird die letzte Oase der Meinungsfreiheit ausgetrocknet.

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Symbolbild Internet Computer (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Das Internet galt in Russland lange als letzte Insel der freien Meinungsäußerung. Je stärker der Staat das Fernsehen kontrollierte und regierungskritische Stimmen dort verstummten, desto mehr nahm die Bedeutung des World Wide Web zu.

Im Netz konnten User sich informieren und ihre Meinung in Netzwerken oder Blogs ohne Einschränkung teilen. Auch im Westen betonten Experten und Politiker, dass es in Russland trotz einiger Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit doch das freie Internet gebe.

Das gilt künftig nur noch bedingt. Vor wenigen Wochen verabschiedete das russische Parlament ein umstrittenes Anti-Terror-Gesetzespaket, das an diesem Mittwoch (20.07.2016) in Kraft tritt. Wer öffentlich, also auch im Internet, zu "terroristischen Aktivitäten" aufruft oder sie rechtfertigt, riskiert eine Geldstrafe in Höhe von einer Million Rubel (umgerechnet rund 14.000 Euro) oder eine Haftstrafe von mindestens fünf und maximal sieben Jahren.

In einem Gesetzentwurf war auch ein Ausreiseverbot vorgesehen, das aber von den Gesetzgebern nach starker öffentlicher Kritik im letzten Moment wieder gestrichen wurde.

Gefährliche Klicks

Zwar ist es immer noch möglich, sich im Netz zu informieren, doch wer sich in sozialen Netzwerken äußert, zum Beispiel einen "Gefällt mir"-Button drückt, einen Text oder ein Video teilt, riskiert eine hohe Geldstrafe oder gar Freiheitsentzug. Als besonders brisant gelten Inhalte zu Ereignissen in der Ukraine, vor allem die Krim-Annexion.

Demonstration vor dem Kreml in Moskau 2014 (Foto: Reuters)
Polizisten verhaften Anhänger des russischen Bloggers Alexej Nawalny, die vor dem Kreml demonstrierenBild: Reuters/T. Makeyeva

Andrej Bubejew muss zum Beispiel eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten in einer Siedlungskolonie verbringen. Ein Gericht in der zentralrussischen Stadt Twer sprach den 40-jährigen Ingenieur im Mai wegen Extremismus schuldig.

Bubejew wurde zum Verhängnis, dass er im russischen Facebook Klon "VKontakte" einen Artikel mit dem Titel "Die Krim gehört zur Ukraine" geteilt hatte. Außerdem hatte er eine Zeichnung geteilt, auf der eine Hand Zahnpasta aus einer Tube drückt. Darunter stand geschrieben: "Presse Russland aus dir heraus." Von der renommierten Moskauer Menschenrechtsorganisation "Memorial" wird Bubejew als politischer Häftling eingestuft.

Satire unerwünscht

Die 46-jährige Jekaterina Wologscheninowa bekam eine vergleichsweise milde Strafe. Die alleinerziehende Mutter aus Jekaterinburg am Uralgebirge wurde im Februar zu 320 Stunden Sozialarbeit verurteilt. Ein Gericht ordnete außerdem eine Vernichtung ihres Laptops an. Wologscheninowa hatte bei "VKontakte" proukrainische Texte und eine Karikatur auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin geteilt.

Die Anzahl solcher Urteile habe sich in Russland in den vergangenen zwei Jahren fast verdoppelt, teilte in Moskau das Menschenrechtszentrum "Sowa" mit. Während es 2013 knapp hundert Urteile wegen Äußerungen im Internet gab, stieg diese Zahl 2015 auf 194 Fälle an. Fast jeder Fünfte bekam tatsächlich eine Haftstrafe, die meisten Angeklagten wurden zu Geldstrafen oder Sozialarbeit verurteilt.

Alexander Werchowskij, Leiter von "Sowa", führt dies unter anderem auf den technischen Fortschritt zurück. "Man kann mittlerweile gegen sogenannten Extremismus ermitteln, ohne sich vom Bürostuhl zu erheben", sagt er. Außerdem sei es in den Netzwerken besonders einfach, Menschen zu identifizierten.

Alexander Werchowskij, Direktor des Moskauer Zentrums Sowa (Foto: Alexander Werchowskij)
Alexander Werchowskij leitet das Menschenrechtszentrum "Sowa" in MoskauBild: privat

Dabei seien nicht alle Verfahren wegen Aktivitäten im Internet umstritten, räumt Werchowskij ein. "Oft sind es tatsächlich unangenehme Texte und Videos mit rechtsextremistischem Hintergrund, seltener mit islamistischen Motiven", so der Experte.

Internetnutzer unter Druck

Bereits nach der Annexion der Krim verschärfte Russland seine Gesetzgebung, auch für Straftaten im Internet. Eine Schlüsselrolle spielt dabei ein Gesetz, das Präsident Putin im Juni 2014 unterzeichnete.

So sind für den Straftatbestand "Aufrufe zu Extremismus im Internet" Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vorgesehen. Wegen Hetze, Hass oder Verletzung der Menschenwürde, darunter auch im Internet, ist eine Geldstrafe von bis zu 300.000 Rubel (umgerechnet rund 4200 Euro) oder eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren vorgesehen.

Die ganze Härte des Gesetzes bekam im Dezember 2015 der Blogger Vadim Tjumenzew aus dem sibirischen Tomsk zu spüren. Er wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Grund: Er hatte im Netz die lokale Regierung kritisiert und zu Protesten aufgerufen. Das Gericht stufte dies als Extremismus ein. Außerdem wertete es Tjumenzews Kritik an prorussischen Separatisten und Flüchtlingen aus der Ostukraine als "Hetze".

Kritiker verlassen Russland

"Es gibt einen deutlichen Trend: Der Staatsmacht wird allmählich klar, dass Internetsperren nicht effektiv sind, um Informationen zu blockieren," sagt Damir Gainutdinov, Rechtsanwalt der russischen Menschenrechtsorganisation "Agora". "Internetnutzer geraten immer stärker unter Druck."

Manche prominente Blogger verlassen Russland, um einer möglichen Strafe zu entgehen. Einer von ihnen ist der Moskauer Politikexperte und Kreml-Kritiker Andrej Piontkowskij, der im Februar ausreiste.

Berichten zufolge gab es gegen ihn angeblich ein Verfahren wegen Extremismus. Anlass war ein Blogeintrag mit Kritik am tschetschenischen Anführer Ramsan Kadyrow, den Piontkowskij auf der Seite des Radiosenders "Echo Moskwy" veröffentlicht hatte. Die Tage der Meinungsfreiheit, so scheint es, sind in Russland gezählt.