Mit der Bürgerwehr gegen Migranten
8. Juni 2019Wenn die Sonne untergeht, hinter den Hügeln am Ende des Grenzzauns in Sunland Park, New Mexico, dann beginnt für sie der Tag. Im beigen Camouflage-T-Shirt lehnt Jim Benvie an einem schwarzen Pick-Up mit getönten Scheiben, orangenem Einsatzlicht und Sturmgewehr auf dem Beifahrersitz.
Am Steuer sitzt "Chin", der in Wirklichkeit anders heißt und sein Gesicht unter einer Maske versteckt. Nur die Augen liegen frei und blicken streng. Seine AR-15 ist halbautomatisch, hat 30 Schuss im Magazin und darf dank der "open-carry"-Gesetze im US-Bundesstaat New Mexico für jeden sichtbar offen getragen werden. Es sind Männer wie Chin und Benvie, die viele Migranten hier als erstes sehen, wenn sie amerikanischen Boden betreten.
Denn hier, am Ende des Zauns, sind sie die selbst ernannten Bewacher der Grenze. Die bewaffnete Bürgerwehr mit etwa 30 aktiven Mitgliedern fährt Patrouille, nimmt Migranten fest und übergibt sie dem Grenzschutz - sie nennen sich die "Guardian Patriots".
Kinder, Prostituierte und Drogen
Chin, der selbst Sohn eines illegalen Einwanderers aus Mexiko ist, will nun dafür sorgen, dass die neuen Migranten draußen bleiben. "Am Ende muss der amerikanische Steuerzahler für die Migranten aufkommen", sagt er. Seine Parolen hört man immer wieder bei der Bürgerwehr: "Warum sollen die alles umsonst kriegen, wenn wir im Leben nichts geschenkt bekommen?"
Zur Gruppe gehören Armee-Veteranen; manche, so wie Jim Benvie, sind arbeitslos. Chin und sein Kollege "Ghost" arbeiten als Hilfsarbeiter in einer Möbelfabrik. "Concierge" gibt an, pensionierter Rechtsanwalt zu sein, aber auch "alle möglichen anderen Jobs" gemacht zu haben. Unterstützt werden sie von Spenden der Online-Community, die Jim Benvie jeden Tag mit Live-Videos von der Grenze versorgt, mit der "Wahrheit, die Fake-News-Medien niemals berichten werden", wie er sagt.
In dieser "Wahrheit" spielen "Kojoten" eine Rolle. So nennen sie die Menschenschmuggler, die Migranten, Prostituierte und Drogen nach Amerika bringen würden und schon mit Steinen nach ihnen geworfen hätten. Brandgefährlich sei es hier, sagt Benvie, ihre Waffen bräuchten sie zur Abschreckung und Selbstverteidigung, gegen "Kojoten" und Bandenmitglieder des Kartells aus dem mexikanischen Juárez auf der anderen Seite des Zauns.
Mehr als 100.000 Migranten kamen allein im April
"Der Grenzschutz braucht uns", sagt Benvie, der als Einziger der Gruppe seinen echten Namen benutzt, sein Gesicht zeigt und etwas anspricht, was auch Beamte der US-Border-Patrol nicht leugnen: Durch die vielen Migranten ist der US-Grenzschutz derart ausgelastet, dass es nicht genug Einsatzkräfte gibt, um die Grenze lückenlos und dauerhaft zu überwachen. Im April kamen mehr als 100.000 Menschen ohne Papiere über die südliche Grenze von Mexiko in die USA. Jim Benvie formuliert das so: "Die Grenze steht weit offen", sagt er, "für die Migranten ist das wie ein Blankoscheck" - deswegen sei seine Gruppe hier aktiv.
Auch, weil der Zaun hier mitten im Nirgendwo endet: Fünfeinhalb Meter hoch ist er, kaum zu überwinden, doch man kann einfach an ihm vorbeispazieren. Für viele Migranten ist es eine beliebte Stelle für den Grenzübertritt ohne gültige Papiere – und sie kommen mehrmals täglich: Während der Einsatzbesprechung der Bürgerwehr passiert eine Gruppe Jugendlicher ungehindert das Ende des Zauns und betritt amerikanischen Boden. Die Gruppe ruft den Grenzschutz, die Migranten festhalten will sie jedoch nicht, solange wir Reporter dabei sind. "Es ist frustrierend", sagt Benvie. "Wir können nur zuschauen. Wenn wir eingreifen, sind wir die Bösen."
Eine der berüchtigsten Milizen des Landes
Die Guardian Patriots wollen eine harmlose Bürgerwehr sein, bezeichnen sich als freiwillige Helfer und möchten nicht Miliz genannt werden. Doch Menschenrechtsorganisationen und der Bürgermeister der Gemeinde Sunland Park sehen das anders.
Noch vor wenigen Wochen gehörten die Männer zu den "United Constitutional Patriots", einer der berüchtigsten Milizen der USA. Auf einem Grundstück der Union Pacific Railroad hatten sie ihr Lager aufgeschlagen, "Camp Liberty". Ein paar Wohnmobile in Grenznähe, dort wo US-Präsident Donald Trump den nationalen Notstand erkannt haben will, wo jeden Tag, wie er behauptet, Mörder, Vergewaltiger und andere Kriminelle ins Land kommen.
Irgendwann jedoch häuften sich die Probleme und Anschuldigungen gegen die Gruppe. Hunderte von Migranten sollen die Männer gefangen und mit Schusswaffen ins Visier genommen haben. Mit der New York Times und der Washington Post berichteten die größten Tageszeitungen des Landes. Dann hieß es, ein Mitglied der Bürgerwehr wolle die Migranten "einfach vergasen", dann sei ein für alle Mal Schluss mit der "Invasion". Die NGO American Civil Liberties Union (ACLU) fordert Ermittlungen, der Staatsanwalt New Mexicos verurteilt die Aktionen der Gruppe öffentlich, doch einen Prozess gegen die Bürgerwehr gibt es nicht.
Verhaftet wegen unerlaubten Waffenbesitzes
Es gebe keine Beweise, sagt der Bürgermeister von Sunland Park, Javier Perea, Parteimitglied der Demokraten und selbst aus einer Einwandererfamilie. Deshalb sei es auch so schwer, gegen die bewaffneten Milizen vorzugehen, denn ein Sturmgewehr frei am Körper zu tragen ist legal in New Mexico, so lange man nicht auf Menschen zielt und niemanden gegen seinen Willen festhält.
Dennoch gerät die Miliz zunehmend ins Visier der Behörden: Im April räumt die Polizei "Camp Liberty" und nimmt Anführer Larry Hopkins fest, weil sie bei einer Hausdurchsuchung Waffen vorfanden - für Vorbestrafte wie Hopkins ist das verboten. Dann beschließen die Männer um Jim Benvie den Neustart: Seit wenigen Wochen nennt sich ein Teil der Bürgerwehr nun "Guardian Patriots" und versucht, sich von ihrer martialisch anmutenden Vergangenheit zu distanzieren. Die Methoden jedoch bleiben die gleichen.
Menschenrechtsorganisationen wie das "Border Network for Human Rights" in El Paso sind entsetzt über die Selbstjustiz der Milizen. Es kämen vor allem Familien über die Grenze, die vor Bandenkriminalität flüchten und sich freiwillig den Grenzschützern stellen würden, sagt der Vorsitzende der NGO, Fernando García, und fragt: "Wozu braucht man da bewaffnete Zivilisten?"
Auch der US-Grenzschutz distanziert sich öffentlich von Bürgerwehren an der Grenze und warnt in einer schriftlichen Stellungnahme vor "Konsequenzen für die öffentliche Sicherheit", wenn "bewaffnete Zivilisten die Gewaltausübung in die eigene Hand nehmen." In Sunland Park zeigt sich jedoch auch, dass die Beamten die Hinweise der Guardian Patriots entgegennehmen und mit ihnen zumindest inoffiziell zusammenarbeiten.
Eine rechtliche Grauzone
Die Bürgerwehr bewegt sich dabei in einer rechtlichen Grauzone: Im Internet belegen Videos, dass sie Migranten mit Sturmgewehren im Anschlag auf die Knie zwingt und in Gewahrsam nimmt. Alles legal, sagt Jim Benvie, "wir bitten die Migranten sich hinzusetzen und auf den Grenzschutz zu warten". Vor den Beamten inszeniert sich die Gruppe dann vor allem als freiwillige Helfer in Zivil.
Und so lange Donald Trumps Mauer nicht fertig ist, sagt Benvie, werden sie weiter über die Grenze wachen. Ihre Waffen lassen sie dabei neuerdings im Auto liegen. Wenn es nötig sei, wüssten sie sich jedoch "zu verteidigen".