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Politik

"An der Grenze braut sich eine Zeitbombe zusammen"

4. Mai 2019

Migranten, Wirtschaftsinteressen und der Druck von Donald Trump: Mexiko ist gespalten und wird zunehmend zerrieben. Vor allem in der Nähe der Grenze zu den USA bekommen die Menschen das zu spüren.

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Mexiko Mexicali Flüchtlingsherberge
Die 12-jährige Hillary und ihre beiden jüngeren BrüderBild: DW/Sandra Weiß

Bei Altagracia Tamayo ist das Haus voll. 141 Flüchtlinge aus Mittelamerika beherbergt die rüstige Aktivistin in den 30 Zimmern ihrer angemieteten Unterkunft in der nordmexikanischen Stadt Mexicali. Und oft bleibt ihr nichts anderes übrig, als Neuankömmlinge wegzuschicken.

Zum Glück hat ihr Kollege Santiago Reygoza kürzlich ein altes Theater in der Nähe angemietet und zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert, wo sie jetzt vor allem junge Männer hinschickt. Das baufällige Theater ist kein idealer Ort, aber besser als in der brütend heißen Wüstenstadt im Park zu schlafen. Was trotzdem manchmal passiert.

2000 Schlafplätze für Migranten gibt es in der Grenzstadt. Doch wie auch im benachbarten Tijuana werden sie langsam knapp, seit die Flüchtlinge in Karawanen kommen, die USA immer mehr Menschen zurückschicken und Mexiko zum sicheren Drittland erklärten.

Migranten als leichte Beute für Schlepper, Drogendealer und Zuhälter

Das heißt, dass selbst Asylbewerber nicht mehr in den USA sondern in Mexiko auf Antwort warten müssen - und das monatelang. Oft ohne Papiere, ohne festen Job ohne Anspruch auf einen Schul- oder Studienplatz. Leichte Beute für Schlepper, Drogendealer und Zuhälter.

Gleichzeitig hat die mexikanische Regierung die Unterstützung für sämtliche privat betriebenen, gemeinnützigen Einrichtungen gestrichen, von der Kinderkrippe bis zur Flüchtlingsherberge. Für Tamayo ist seither das Auftreiben von Spenden eine Herausforderung. Die Solidarität der lokalen Bevölkerung schwindet, je mehr der Anblick von bettelnden Migranten zur Gewohnheit wird, oder auch unter dem Druck fremdenfeindlicher Hetzkampagnen rechter Gruppen im Internet.

Den meisten Herbergen bleibt nichts anderes übrig, als von den Migranten einen kleinen Obolus für die Beherbergung zu verlangen - um wenigsten Strom, Miete und Wasser zahlen zu können." An der Grenze braut sich eine Zeitbombe zusammen", warnt Tamayo.

Mexiko Mexicali Flüchtlingsherberge
Migranten aus Mittelamerika warten in einer Flüchtlingsherberge in MexicaliBild: DW/Sandra Weiß

Es blieb nichts anderes übrig als die Flucht

Die US-Grenze ist nur einige hundert Meter von der rosafarbenen Unterkunft entfernt. Doch für die meisten Migranten ist nach einer gefährlichen Odyssee aus ihren Heimatländern hier erst einmal Schluss. So auch für die 12-jährige Hillary Velasquez, die mit ihrer Mutter und zwei jüngeren Brüdern im Februar mit einer Flüchtlingskarawane Honduras verlassen hat.

Die schlanke, aufgeweckte Hillary gefiel einem der Bosse der kriminellen Jugendbanden in ihrer Heimatstadt San Pedro Sula. Er forderte ihre Mutter auf, sie ihm zu übergeben. Was das bedeutet hätte, war Hillary klar: Vergewaltigung, frühe Schwangerschaft, Schulabbruch. Dabei will sie doch Krankenschwester werden wie ihre Mutter.

Die Familie zog um in eine andere Stadt, doch die Banden sind überall präsent und bestens vernetzt. Auch dort wurden sie aufgespürt. Eine Anzeige bei der Polizei wäre ein Todesurteil gewesen in einem Land, in dem Staat und Polizisten gemeinsame Sache machen mit dem organisierten Verbrechen. Der Familie blieb nichts anderes übrig als eine überstürzte Flucht.

"Wir bekommen erst Asyl, wenn wir tot sind"

Familie Velasquez hat Asyl beantragt, die erste Anhörung ist Ende Mai - nicht im US-amerikanischem Ort Calexico, auf der anderen Seite von Mexicali, sondern im 200 Kilometer entfernten San Diego. Hillary ist verzweifelt. "Wie sollen wir da hinkommen ohne Geld? Warum legen sie uns so viele Steine in den Weg? Ich glaube, wir bekommen erst Asyl, wenn wir tot sind."

Der Frust ist Hillary anzusehen. Das Schlimmste ihrer ganzen Flucht waren für sie nicht die vielen Stunden Wanderung unter gleißender Sonne, die Drohungen mexikanischer Polizisten sie zu deportieren oder die Nächte unter Plastikplanen. "Das schlimmste ist das Warten so nahe am Ziel", sagt Hillary.

"Das ist eine Zermürbungstaktik, damit die Asylbewerber aufgeben", sagt Kelly Overton von der US-Organisation Border Kindness. Diese unterstützt vor allem Kinder mit Nahrungsmitteln und Medikamenten und hilft Familien durch den feindlichen Bürokratiedschungel der mexikanischen und US-Behörden.

Die USA sind laut Verfassung zwar verpflichtet, Asyl zu gewähren. Doch US-Präsident Donald Trump fallen nahezu täglich neue Schikanen ein, wie er dies aushebeln kann - indem er Asylanträge kostenpflichtig machen will zum Beispiel. Und dabei gerät zunehmend Mexiko unter die Räder, obwohl das Gros der Flüchtlinge gar nicht mehr aus Mexiko kommt, sondern vor allem aus Mittelamerika, also den Ländern, die in den 80er Jahren durch die Stellvertreterkriege der USA destabilisiert wurden.

Mexiko ist keine Option für Mittelamerikaner

Mexiko als Transitland hat dabei den schwarzen Peter: Wenn Präsident Andres Manuel López Obrador die UN-Konvention und die Rechte der Migranten respektiert, wird Trump wütend und droht damit, die gemeinsame Grenze zu schließen, von der 80 Prozent des mexikanischen Außenhandels abhängen.

Deportiert er Migranten, applaudiert Trump und protestieren die UNO und Menschenrechtsorganisationen. Lopez Obrador versucht die Quadratur des Kreises: "Bleib in Mexiko" heißt das Programm, mit dem er Flüchtlinge in Mexiko halten will, ihnen ein Aufenthaltsrecht und einen Arbeitsplatz verspricht, sofern sie in den südlichen Bundesstaaten bleiben. Doch die Idee hat einen Haken: Sie funktioniert nicht.

Altagracia Tamayo, Leiterin einer Flüchtlingsherberge in Mexicali
Altagracia Tamayo glaubt, dass die Situation in der Grenzstadt Mexicali unhaltbar ist.Bild: DW/Sandra Weiß

Die Flüchtlinge wollen in die USA, wo höhere Löhne locken und oft Angehörige leben. Um den US-Präsidenten zu beschwichtigen, fängt Mexiko die Migranten nun im Süden des Landes auf. In Internierungslagern werden sie mit Versprechen auf Visa und Arbeit hingehalten. Ein engmaschiges Netz von Kontrollen auf Straßen soll verhindern, dass sie illegal weiterreisen gen Norden.

Wer ohne Visum unterwegs ist, riskiert die Deportation 

Mexiko als vorgelagerter Grenzposten - das ist die Rolle, die schon Vorgänger Enrique Peña Nieto eingenommen hatte. Doch für den linken sich selbst als Humanisten verstehenden López Obrador ist dies unangenehm.

Ende April kam es in einem der Lager zum Aufstand, hunderte Flüchtlinge verloren in den beengten Installationen die Nerven und die Geduld. Die Bilder von Polizisten, die Mütter ihre Kinderwägen entrissen, um die Flucht zu verhindern, waren dramatisch. Sie wirkten nicht grundlos wie ein Gefängnisausbruch. Denn wer ohne Visum unterwegs ist, riskiert die Deportation und muss sich verstecken wie ein Schwerverbrecher.

13.643 Migranten hat Mexiko alleine im Januar und Februar abgeschoben - mehr als die USA. "Die Flüchtlinge sind ein Spielball der Politik", sagt Tamayo. "Mit ihnen kann man Wahlen gewinnen und der Sicherheitsindustrie Aufträge zuschustern" - etwa für Trumps Lieblingsprojekt, die Grenzmauer. "Doch aufhalten wird sie das alles nicht, denn die meisten Flüchtlinge haben keine andere Wahl."