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Millionenpublikum für jedermann

Andreas Leixnering27. Juli 2006

Es eine der größten Internet-Erfolgsstorys nach dem New Economy Crash: Pro Tag landen 60.000 Filmchen auf dem Videoportal YouTube. Wie gehaltvoll ist das chaotische Online-Archiv?

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YouTube-Erfinder Chad Hurley, 29, und Steven Chen, 27Bild: AP

Es geschah auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg: US-Päsident George Bush trat hinter die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und legte Hand an, um ihr eine Rückenmassage zu spendieren. Doch die Politikerin zuckte zusammen und wehrte den Versuch erschrocken ab. Auf www.youtube.com wurde das Filmchen mittlerweile über 100.000 Mal angeklickt.

Sehen und gesehen werden

Screenshot YouTube, Portal für Amateurfilmer
Kein Videoportal wird öfter besucht

Die mega-populäre Videotauschbörse ist zweierlei. Einmal ein riesiges, chaotisches Online-Archiv der Popkultur, in dem sich stundelang nach Musikvideos, peinlichen Auftritten Prominenter, schrägen Werbespots und Kino-Trailern stöbern lässt. Andererseits stellt YouTube gleichzeitig die weltweit größte Sammlung an selbstgedrehten Amateurfilmchen, Millionenpublikum inklusive. Hobby-Tenöre beim Karaoke-Abend, badende Hundebabys, das animierte WM-Finale aus Lego, jeder kann hier seine Werke ausstellen. Die werden nach Themen geordnet, von den Nutzern bewertet oder kommentiert und können auf eigene Seiten runtergeladen werden. Alles kostenlos. Bisher jedenfalls. So weit finanziert sich das Portal allein durch Werbung und Sponsoring. Ob das für die Wartung der Server auch in Zukunft reicht, die riesige Datenmengen zu verwalten haben?

Generation Start-Up II.

Logo YouTube
"Broadcast Yourself" - "Sende dich selbst"

Die Idee für das Videosharing-Portal kam Chad Hurley und Steve Chen, nachdem sie ein gemeinsames Essen mit Freunden gefilmt hatten und das Ergebnis ins Netz stellen wollten. Doch die Kalifornier fanden keine Plattform dafür. Also schrieben sie ein entsprechendes Programm, trieben 8,9 Millionen Euro Kapital auf und gingen im Dezember 2005 online.

Seitdem wächst YouTube rasant. Um die 70 Millionen Filmchen werden inzwischen gezeigt – pro Tag. 60.000 Videos landen täglich auf den Servern der Firma. Laut Webdienst Alexa steht YouTube auf Platz 18 der populärsten Websites weltweit. Die Nutzerzahlen von Amazon oder CNN sind bereits übertroffen. Die Betreiber glauben, dass 60 Prozent aller Internetclips bei YouTube abgerufen werden. Nachahmer wie video.google.com oder video.yahoo können davon nur träumen.

Und die Videokultur von unten generiert ihre Stars. Der New Yorker Robert Ryang schnitt den Gruselfilm "The Shining" in eine romantische Komödie um – und wurde dafür von der New York Times mit einer Geschichte bedacht. Die 20-jährige Brooke Brodack sandte ihre Parodien von Musikvideos an YouTube und erwarb sich eine treue Fangemeinde. Inzwischen ist sie bei der Produktionsfirma Carlson Daly aus Hollywood unter Vertrag.

Die "Revolution der Kommunikation"?

Paar mit Videokamera
Sind sie die neue "Gegenöffentlichkeit"?Bild: picture-alliance/Bildagentur Huber

Die Euphorie und Erwartungen gegenüber den Video-Communities sind groß. Vielleicht zu groß. Vom "zweiten Frühling des Internets" nach dem Start-Up-Crash ist in der Süddeutschen Zeitung die Rede. Weil jeder die eigenen Clips einem potentiellen Millionenpublikum präsentieren kann, frohlocken viele über die neue Öffentlichkeit "von unten". Zum aktuellen Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah wurden bereits hunderte Videos auf YouTube geladen. Von eindringlichen verwackelten Aufnahmen aus dem beschossenen Beirut, über Propaganda-Clips bis zu persönlichen Kommentaren. "Für Menschen aus aller Welt bietet YouTube die wertvolle Möglichkeit, miteinander zu teilen, was in ihrer Region tatsächlich geschieht. Das gilt auch für den Nahen Osten", so Marketingleiterin Julie Supan. Das mag sein, doch die Echtheit der Videobilder lässt sich kaum überprüfen. Robert Niles, Redakteur des Online Journalism Review der Universität von Südkalifornien, wünscht sich deshalb "ein YouTube, das die Überprüfung der Identität erlaubt, um die Glaubwürdigkeit der Quellen zu gewährleisten."

Wer kontrolliert die Inhalte?

NBC Studios in Kalifornien
Vom Ankläger zum Partner: der US-Sender NBCBild: AP

Ein weiteres Problem stellen Urheberrechtsverletzungen dar. Auch wenn YouTube urheberrechtlich geschütztes Material aus dem Angebot sperrt, landet es oft doch wieder auf der Seite - unter anderem Namen. Die vom YouTube-Erfolg verunsicherten Fernsehsender wie NBC und CBS ließen anfangs noch eigene Inhalte aus deren Angebot entfernen. Angesichts der immensen und immer noch wachsenden Reichweite des neuen Rivalen haben sie inzwischen aber eine Kehrtwende vollzogen. NBC will Preview-Clips von Serien wie "The Office" exklusiv über das Portal vertreiben. Auch CBS denkt über eine Zusammenarbeit nach.

Ärger mit der treuen Fangemeinde gab es, als die sich die neuen Nutzungsbedingungen von YouTube näher ansah. Aus dem umständlichen Bürokraten-Englisch lasen sie heraus, dass sich YouTube das Recht nehme, mit sämtlichen eingereichten Inhalten eigene Geschäfte machen zu dürfen. Die Wellen schlugen hoch. Eine Sprecherin erklärte, man sei missverstanden worden. Für eher schlechte Presse sorgten auch rechtsextreme Musikvideos, die sich auf der Seite tummeln, worauf sich sogar die Deutsche Beschwerdestelle "Jugendschutz.net" an die Betreiber wandte. Zwar verbieten die explizit das Hochladen von Clips mit rassistischen Inhalten, Darstellungen von Gewalt und Pornographie. Doch scheitert das hehre Anliegen bisher schlicht an der Überprüfung der Millionen von Videos, die monatlich auf den Servern in Kalifornien landen.