Luftverschmutzung zu hoch
27. November 2014London im Nebel? Rauchende Schlote im Ruhrgebiet? Längst Legende. Die Emissionen dort sind rückläufig, die Luftqualität in Europa konnte in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert werden. Dennoch sind die Schadstoffkonzentrationen weiterhin so hoch, dass sie ein großes Gesundheitsrisiko bilden. Das ergab eine Studie der Europäischen Umweltagentur (EUA) mit Sitz in Kopenhagen. Als Einrichtung der Europäischen Union erstellt sie unabhängig Informationen über die Umwelt. 14.000 Industrieanlagen, Kraftwerke und landwirtschaftliche Betriebe hat die EUA untersucht, mit der Maßgabe, die Kosten zu beziffern, die der Gesellschaft durch Europas Schadstoffe entstehen. Diese beziffert die EUA für das Jahr 2012 auf mindestens 59 Milliarden Euro, möglicherweise seien es sogar bis zu 189 Milliarden Euro.
Wieviel Lebenszeit geht durch erhöhte Gesundheitsrisiken verloren?
Die große Spanne basiert auf den unterschiedlichen Modellen für ökonomische Schäden. Sie richten sich nach den subjektiven Angaben für die Bewertung eines Lebensjahres. Ganz besonders in Städten, wo der Großteil der europäischen Bevölkerung lebt, werden die Richtwerte für Ozon, Stickstoffdioxid und Feinstaub häufig überschritten. "Die Hälfte dieser Schadenskosten wurde von nur einem Prozent der Industrieanlagen verursacht", sagt EUA-Direktor Hans Bruyninckx, "das ist eine erschreckende Feststellung". Die zweite Erkenntnis: Unter den 30 größten Emittenten finden sich 26 Stromerzeuger wie Braun- und Steinkohle-Kraftwerke - überwiegend in Deutschland, gefolgt von Polen, Bulgarien und Rumänien. Aber auch Stahl- und Chemieindustrie produzieren hohe Schadstoffkonzentrationen.
"Dass darunter acht Kraftwerke aus Deutschland sind, ist nicht neu", sagt Arne Fellermann vom Europäischen Umweltbüro. "Allerdings muss man unterscheiden: Sie produzieren in der Masse viel klimaschädliches Kohlendioxid, sind aber trotzdem viel effizienter als Stromerzeuger in Osteuropa und Frankreich."
Für die Studie hat die Umweltagentur den Ausstoß an Emissionen und deren Auswirkungen über einen Zeitraum von fünf Jahren gemessen. Im Zeitraum 2008 bis 2012 betrugen die geschätzten Kosten mindestens 329 Milliarden Euro und möglicherweise bis zu 1.053 Milliarden Euro. Im Umfeld der Anlagen wurden Todesfälle, die Kosten für Krankenhausaufenthalte durch Atemwegs- oder Herzerkrankungen, krankheitsbedingte Fehlzeiten in Unternehmen und Schäden an Gebäuden ermittelt.
"Es gäbe technische Möglichkeiten, die Top 500 in Europa zur Emissionsreduktion zu bewegen", sagt Arne Fellermann. Allerdings argumentieren die Konzerne damit, bei höheren Ausgaben für den Umweltschutz nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein. "Da aber die Luftverschmutzung nicht an Grenzen halt macht, bedarf es einer europäischen Luftreinhaltepolitik", sagt Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die Industriebetriebe müssten ihre Abgasreinigung permanent an den neuesten Stand der Technik anpassen. Und wenn es die Bundesregierung mit der Energiewende ernst nehme, müsse sie die Kohlekraftwerke auf den Prüfstand stellen.
Aber auch Verkehr und Landwirtschaft belasten die Umweltluft. Zu hohe Ozonkonzentrationen führen zu Ernteschäden. Methangas beschädigt die Ozonschicht, Nitrate wie Ammoniak versickern im Boden und verunreinigen das Grundwasser.
Auswirkungen der Studie auf die EU-Politik
"Man könnte einen Teil der Fördergelder für Umweltmaßnahmen in Industrie und Landwirtschaft ausgeben. Das macht die EU aber bisher zu wenig", kritisiert Arne Fellermann vom Europäischen Umweltbüro. Ob sich an dieser Politik künftig etwas ändert, ist fraglich. Unter der neuen Führung von Jean-Claude Juncker diskutieren die Kommissare gerade darüber, die Regulierung des europäischen Luftreinhaltepaketes zugunsten der Wettbewerbsfähigkeit auf den Prüfstand zu stellen. "Das ist durchaus ein ziehendes Argument", gibt Fellermann zu. Die zehn führenden Umwelt-Dachverbände haben sich bisher vergeblich um einen Termin mit Juncker bemüht, um im Dialog die Brüsseler Umweltpolitik zu erörtern. Sie hoffen, dass die Studie der EUA zum Umdenken führt.
Die Macht der Bürger
Nicht zuletzt produzieren die Stromerzeuger die Energie für den Bedarf der Bevölkerung. "Die Wahrnehmung der Umweltprobleme und den Wunsch nach sauberer Luft kann man sich leisten, wenn der Teller voll ist, man einen Job hat und sich nicht um andere existenzielle Belange kümmern muss", so Fellermann. Die Gesellschaft zahle aber auch den Verlust an Arbeitstagen, das Defizit an Ernteerträgen und für den steigenden Energieverbrauch, fügt der Umweltexperte hinzu. Man müsse sich daher fragen: "Was wird aus unserer Industrie? Wollen wir Energieziele ereichen oder nehmen wir Luftverschmutzung in Kauf? Und was kostet uns das?"