Politische Trendwende
3. September 2012Schienen gibt es in Brasilien kaum, die Häfen sind für ihre langen Liegezeiten berüchtigt und auch das Straßennetz ist nicht geeignet, die stetig wachsende Verkehrsflut zu bewältigen. Das stellt nicht nur die Organisatoren der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 vor große Aufgaben. Die schlechte Verkehrsinfrastruktur in Brasilien ist ein Hemmschuh für die Wirtschaft – vor allem die heimische Industrie.
"Ein Ausbau der Infrastruktur ist lange überfällig", meint die Wirtschaftsprofessorin Barbara Fritz vom Lateinamerikainstitut der FU Berlin: "Die Infrastruktur ist uralt und wird dem Stand der Wirtschaft schon lange nicht mehr gerecht."
Eine nationale Herausforderung
Das hat nun auch Präsidentin Dilma Rousseff erkannt und die Bedeutung der Verkehrswege hervorgehoben. Ginge es nach ihr, würden in den nächsten Jahren umgerechnet 52 Milliarden Euro in den Ausbau der Straßen- und Schienennetze fließen, über die Hälfte davon in den nächsten fünf Jahren. Allerdings soll das Geld nicht nur aus der Staatskasse kommen. Rousseff setzt auf die Beteiligung privater Investoren.
"Die Idee, die Privatwirtschaft am Ausbau der Infrastruktur zu beteiligen, ist ökonomisch betrachtet richtig", findet Prof. Federico Foder, Lateinamerikaexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Doch er gibt zu bedenken: "Die große offene Frage ist die nach den Konditionen. Hiervon wird es abhängen, ob die Initiative Erfolg haben kann."
Außerdem müssten Straßen auch unterhalten und immer wieder ausgebessert werden, fügt Foders hinzu. Um diese später anfallenden Kosten ebenfalls zu teilen, würden sich öffentlich-private Partnerschaften (PPP) anbieten.
Dieser Meinung ist auch die Berliner Ökonomin Fritz: "Die Regierung muss Wege finden, privaten Investoren ihre Investition schmackhaft zu machen. Das wäre zum Beispiel durch Nutzungsgebühren wie eine Maut möglich." Allerdings stellt Fritz klar, dass sie Privatisierungs- und PPP-Lösungen nur unter bestimmten Bedingungen für eine gute Lösung halte: "Es ist wichtig, die Vergabe der Konzessionen und die Regulierung der Gewinne ausgewogen zu gestalten."
PPP als Mittel gegen die Korruption
Die Beteiligungen privater Investoren, so Fritz, könnte auch dazu führen, dass mit öffentlichen Geldern verantwortungsvoller umgegangen wird als bisher: "In der Vergangenheit hat es immer wieder Fälle von Korruption im Verkehrssektor gegeben."
Vergangenes Jahr etwa musste Transportminister Alberto Nascimento seinen Hut nehmen, weil er unter Korruptionsverdacht stand. "Bei der Größe der Aufträge ist zum einen der Anreiz hoch und zum anderen die Transparenz schwer zu wahren", so Fritz. Die Beteiligung privater Firmen könnte hier zu einer Verbesserung führen.
Trendwende in der Wirtschaftspolitik?
Viele Ökonomen begrüßen den Vorstoß. Manche sehen sogar eine Trendwende: weg von einer Wirtschaftsförderung durch staatliche Konjunkturprogramme und hin zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft.
Erste Signale dafür sendete die Regierung im Mai: Da senkte sie vorübergehend die Industriegüter-Steuer IPI für langlebige Wirtschaftsgüter wie Autos und große Haushaltsgeräte - die läuft Ende August aus. Dafür sind jetzt Möbel von der IPI ganz befreit. Zwar haben diese Maßnahmen den Absatz der begünstigten Güter angekurbelt, doch der Kieler Ökonom Foders meint: "Eine klare ordnungspolitische Linie sieht anders aus."
Der erste Schritt auf einem langen Weg
Finanzminister Guido Mantega sieht bereits einem Wendepunkt in der Industrie-Konjunktur. So lindert der sinkende Leitzins SELIC – seit dem 30. August ist er auf dem 14-Jahres-Tiefstand von 7,5 Prozent – die Investitionskosten für einheimische Unternehmen. Zudem macht er Kapitalimporte unattraktiver, die mitverantwortlich für die Überbewertung der Landeswährung Real gemacht werden. Sein Wechselkurs ist nun leicht gefallen, was den Konkurrenzdruck von außen – insbesondere aus China – ein wenig abfedert.
Dennoch bleibt Jankiel Santos, Chefökonom der Investitionsbank BES Investimento, skeptisch: "Die Regierung hat den richtigen Weg eingeschlagen, doch die Effekte werden nicht kurzfristig sein. Um das Wachstum jetzt zu steigern, hätte man diese Entscheidung früher treffen müssen."
Auch Flávio Castelo Branco, Geschäftsführer des nationalen Chemieverbands CNI, versprüht nur gebremsten Optimismus: "Seit zwölf Monaten stagniert die Wirtschaft – vor allem der Industriesektor. Nun sind die Vorzeichen zwar besser, aber eine großartige Trendwende ist noch nicht abzusehen."
Dem stimmt auch die Berliner Ökonomin Fritz zu: "Der Regierung bleibt noch viel zu tun, denn die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie hängt von zahlreichen Makrofaktoren ab." Die Infrastruktur sei nur einer davon, und es werde dauern, bis sich der Effekt der Investitionen bemerkbar macht.