Wirtschaftsmacht Brasilien
6. April 2012Auf der Brücke des Containerschiffes "Aliança Europa" herrscht Hochbetrieb. Das Schiff navigiert, beladen mit rund 1500 Containern, auf dem größten Strom der Welt: dem Rio Amazonas.
Seit 12 Jahren manövriert Emanuel Brasil Diaz Guerreiro, kurz Captain Brasil, die "Aliança Europa", das "Europäische Bündnis" durch amazonische Untiefen bis nach Manaus. "Auf dem Amazonas navigierst du manchmal bis auf 100 Meter an das Flussufer mit einem Schiff, das über alles 200 Meter misst", sagt der Kapitän. "Ein Kurvenlabyrinth. Das fordert die volle Aufmerksamkeit, ich steuere die ganze Zeit von Hand."
Das Schiff fährt für die Reederei Aliança - ein Marktführer für Transportdienstleistungen im boomenden brasilianischen Verkehr. Die Aliança ist eine Schwestergesellschaft der deutschen Großreederei Hamburg Süd.
Logistische Herausforderung
Hamburg Süd ist schon lange dort, wo angesichts der boomenden brasilianischen Wirtschaft immer mehr Unternehmen ihr Glück suchen: In Manaus, seit 1967 eine Freihandelszone, die mit Steuer- und Zollvergünstigungen in den brasilianischen Urwald lockt. Eine geopolitische Entscheidung, denn es geht um die Erschließung des riesigen brasilianischen Hinterlandes. Auch für deutsche Unternehmen eine logistische Herausforderung: Denn schließlich ist Manaus nur zu Luft oder zu Wasser erreichbar.
Die Kais der Häfen von Manaus sind seit jeher schwimmende Docks, schließlich kann der Wasserstand zwischen Regen- und Trockenzeit um bis zu 14 Meter schwanken. Am Flussufer stapeln sich bereits die Container der Hamburg Süd bis in den Himmel.
Das alte Herz
Knapp zwei Kilometer vom modernen Containerhafen entfernt, liegt der alte Fährhafen, der sogenannte Porto Flutante: das pulsierende Herz der Stadt. Hier zeigt sich das alte, renovierungsbedürftige Manaus. Unter der Woche tobt hier das Leben, doch heute ist Sonntag. Die Straßen sind wie leergefegt. In zwei Jahren, zur Fußballweltmeisterschaft 2014, ist dann hoffentlich mehr los, sagt Antonio Jacaré, seit 32 Jahren Souvenirverkäufer. "Ich war einmal in Rio de Janeiro", erzählt er. "Viele machten sich immer lustig darüber, dass ich 'Indio' sei. Laufen die Frauen bei euch wirklich nackt rum? wurde ich oft gefragt. Ich antwortete: Ja, das stimmt, mein Herr. Aber - alles was sie im Haus haben, das haben wir gemacht: Plasmabildschirme, Außenbordmotoren, Reifen, Fernseher, Unterhaltungselektronik. Alles von uns Indianern im Industriegürtel von Manaus hergestellt!"
Von Manaus lebt Brasilien
Am Montagmorgen schaufelt eine qualmende Busarmada im Minutentakt die Menschen in die "Zona Franca", die Freihandelszone, die so groß wie das gesamte Stadtgebiet von Manaus ist. Hier sind sie, die Global Player: Ob Honda, Nokia, Yamaha, Panasonic, LG, Philips, Sanyo, Kodak oder Xerox, sie und viele andere haben sich hier angesiedelt.
80 Prozent aller in Brasilien gefertigten Elektrogeräte stammen aus Manaus, dazu nahezu alle Motorräder auf Brasiliens Straßen. Und der brasilianische Binnenmarkt ist schier unersättlich.
Erst der Anfang
In der Schaltzentrale der "Zona Franca" ist die sogenannte SUFRAMA (Superintendencia da Zona Franca de Manaus), eine Art zuständiges Spezial-Ministerium für Turboinvestitionen. Die vierteljährliche Pressekonferenz beginnt mit der Hymne des Bundesstaates Amazonien. Dann werden die neusten Zahlen verkündet: Gesamtinvestitionsvolumen: elf Milliarden Dollar. Das Produktionsvolumen nationaler und multinationaler Unternehmen lag 2011 bei einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar. Die Industrie beschäftigt direkt 120.000 Menschen. Alles erst der Anfang, wenn es nach Oldemar Ianck, dem Chef von SUFRAMA, geht.
"Vor Kurzem war unsere Präsidentin Dilma Rousseff hier und hat die neue, 3,2 Kilometer lange Brücke über den Rio Negro eingeweiht und die Schaffung der sogenannten 'Regiao metropolitana' verkündet." Das Ziel, erläutert Ianck, sei Expansion. Der steuerbegünstigte Status von Manaus soll zudem um 50 Jahre verlängert werden, so Ianck, der sein ganz eigenes Verständnis von ökologischer Wirtschaft hat: "Unsere Perspektive ist klar auf Wachstum ausgerichtet, Arbeitsplätze schaffen, die Produktion erhöhen. Manaus soll das Paradeprojekt in Sachen Umweltschutz sein. Wir schaffen viele Arbeitsplätze auf einem kleinen Areal. Damit die Menschen hier nicht mehr den Regenwald abholzen müssen, um zu überleben."
Fußball-WM 2014 soll Impulse bringen
Der Boom am Amazonas ist nichts Neues. Schon zu Ende des 19. Jahrhunderts hatte der Kautschuk aus dem verschlafenen Dorf Manaus eine Großstadt mit Alleen, elektrischer Straßenbahn und Opernhaus gemacht. 20 Jahre später aber fielen die Preise für Kautschuk. Der Verfall des weltberühmten Opernhauses wurde zum Symbol für den dramatischen Niedergang der Stadt.
Mit dem Bau eines neuen Stadions, der "Arena da Amazonias", setzt Manaus nun ein Zeichen neuer Vision und Stärke. Das Hamburger Architektenbüro von Gerkan, Marg und Partner (gmp) baut für 45.000 Zuschauer ein Stadion, das 2014 zur Fußball-Weltmeisterschaft eingeweiht wird.
gmp verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der den extremen klimatischen Bedingungen des Standortes gerecht wird und sich an der Formensprache indianischer Tradition orientiert. "Die Grundidee vom Stadion war ja im Prinzip dieses natürlich Eingebundensein in diesem tropischen Umfeld", sagt Maike Carslen von gmp.
Doch ist dieser 200 Millionen-Euro-Bau bei aller ökologischen Bauweise wirklich nachhaltig? Architekt Burkhard Pick von gmp verweist auf die vielen Diskussionen, ob es überhaupt Sinn mache, so viel Geld auszugeben in einer Stadt, die keinen bekannten Fußballklub habe, und das alles für gerade mal drei WM-Viertelfinalspiele. "Und diese Diskussionen, warum gibt man so viel Geld aus für ein Stadion, dessen Nutzen nicht hundertprozentig sichergestellt ist, ist natürlich auch für uns eine große Verantwortung." Pick verweist auch auf das "Drumherum, die Infrastruktur, die auch benötigt wird hier in Manaus, öffentlichen Transport, Straßen." Und er ist sicher: "Es wird auch mehr Tourismus geben, die werden nicht nur zum Opernhaus fahren, sondern auch das Stadion besuchen."
Gefragte Weißwurst
Über viel Besuch erfreut sich heute schon Rolf Joest. Der Restaurantbesitzer importiert seit Jahren deutsche Wurst und Rotkohl nach Manaus. "Ich mag diese Wurst, die weiß ist, sehr gerne", schwärmt einer der überwiegend brasilianischen Gäste.
"Denen schmeckt es hervorragend", stellt Rolf Joest fest. Die Firma hat er vor sieben Jahren eröffnet. Anfangs hatte man fast nur europäische Kunden, und wenige Brasilianer. Heute sei es umgekehrt: 80 Prozent Brasilianer und 20 Prozent Europäer. "Wir sind schön gewachsen, die Leute haben das wunderbar angenommen hier in Brasilien. Deutsche Küche, deutsche Würste, Weißwurst, Kassler und Senf, deutsches Brot. Weizenbier. Schönes Fassbier dazu, die sind begeistert", so Joest. Auch das ist eine deutsche Erfolgsgeschichte in der Freihandelszone von Manaus, rund 9000 km von der Heimat der Weißwurst entfernt.