Militär stürzt Präsident Mursi
4. Juli 2013Eine "starke und fähige" Regierung werde gebildet, die "weitgehende Befugnisse" haben und "alle nationalen Kräfte" einschließen werde, sagte Armeechef Abdel Fatah al-Sissi, der auch Verteidigungsminister ist, in einer Fernsehansprache. Er kündigte auch die Bildung eines Gremiums an, das die islamistisch geprägte Verfassung überarbeiten soll. Der Armeechef betraute den Präsidenten des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, mit der Staatsführung. Damit steht Mansur, bis vor kurzem noch ein relativ unbekannter Richter, künftig an der Spitze des bevölkerungsreichsten Landes der arabischen Welt.
Vorausgegangen waren tagelange Massenproteste gegen den Islamisten Mohammed Mursi, dem seine Gegner vorwerfen, die Revolution von 2011 verraten zu haben. Sie halten dem 62-Jährigen vor, allein die Interessen der Muslimbruderschaft zu vertreten und die Gesetzgebung nach den Prinzipien des Islam verändert zu haben. Damit habe er die Errungenschaften der Revolution verraten, die im Februar 2011 zur Entmachtung des langjährigen Staatschefs Husni Mubarak geführt und ihn selbst an die Macht gebracht hatte. Zudem lasten sie Mursi den wirtschaftlichen Niedergang Ägyptens an.
Der Oppositionsführer und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei erklärte, die Ankündigung des Armeechefs entspreche den Forderungen des Volkes nach Neuwahlen. ElBaradei sowie der koptische Patriarch Tawadros II. und der Imam der Kairoer Al-Azhar-Universität saßen neben al-Sissi, als dieser im Fernsehen die Entmachtung Mursis verkündete. Die zweitgrößte islamische Partei Nour stimmte dem Fahrplan des Militärs zu, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden.
Tahrir-Demonstranten jubeln
Zehntausende Demonstranten brachen in Kairo in Jubel aus. Mit Hupkonzerten und Feuerwerken zogen sie durch die Straßen der Hauptstadt und feierten vor allem am symbolträchtigen Tahrir-Platz, dem Schauplatz der Revolution von 2011.
Mursi steht nach Angaben der Muslimbruderschaft unter Hausarrest. Er und seine wichtigsten Mitarbeiter würden im Club der republikanischen Präsidentengarde festgehalten, teilte der Sprecher der Bruderschaft, Gehad El-Haddad, in der Nacht über Twitter mit. Die Armeeführung bestätigte die Festnahme von Mursi. Mursi werde "vorsorglich" festgehalten, sagte ein ranghoher Armeevertreter der Nachrichtenagentur AFP.
In einer ersten Reaktion hatte der entmachtete Präsident über Twitter von einem "Staatsstreich" gesprochen, dem sich alle freien Menschen in Ägypten widersetzen müssten. Nach Angaben eines Vertrauten rief Mursi seine Anhänger zum friedlichen Widerstand auf. In einer Videobotschaft erklärte Mursi später: "Ich bin der gewählte Präsident Ägyptens."
Wütende Mursi-Anhänger protestieren
Nach der Verkündung der Entmachtung des Präsidenten kam es in mehreren Städten zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Anhängern Mursis. In der westlichen Stadt Marsa Matruh wurden nach Angaben der Sicherheitskräfte vier Mursi-Anhänger getötet, als sie das Hauptquartier der Sicherheitskräfte in der Stadt stürmten. In Alexandria starb ein weiterer Mursi-Anhänger. Dort lieferten sich Anhänger und Gegner Mursis heftige Straßenschlachten. Auch aus der zentralen Provinz Asiut und der Provinz Gharbija im Nildelta wurden Zusammenstöße gemeldet.
Die USA ordneten derweil die Evakuierung ihrer Botschaft in Kairo an. Nur eine Notbesetzung werde in der Vertretung verbleiben, erklärte das Außenministerium in Washington. Es riet dringend von Reisen nach Ägypten ab.
Fast 50 Menschen getötet
Der aus der Muslimbruderschaft hervorgegangene Mursi trat sein Amt am 30. Juni 2012 an; er war der erste frei gewählte Präsident Ägyptens. Am Jahrestag seines Amtsantritts entzündeten sich landesweite Massenproteste, an denen sich Millionen Ägypter beteiligten. Im Zuge der Proteste und gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden fast 50 Menschen getötet.
Die in Ägypten mächtigen Streitkräfte hatten Mursi eine Frist bis Mittwochnachmittag gesetzt, die Forderungen des Volkes zu erfüllen und den Konflikt beizulegen. Mursi lehnte einen Rücktritt jedoch ab und ließ die Frist verstreichen. Seine Anhänger hatten stets erklärt, Mursi habe ein schweres Erbe angetreten und es solle ihm zumindest die volle Amtszeit gewährt werden, um die zahlreichen Probleme des Landes in den Griff bekommen zu können.
kle/haz (afp, rtr, dpa)