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Mihaela. Theater. Feminismus

3. Dezember 2023

Die bekannte rumänische Schauspielerin, Romni und Mitbegründerin der feministischen Theatergruppe Giuvlipen Mihaela Dragan wünscht sich, dass Roma von der Mehrheitsgesellschaft differenzierter wahrgenommen werden.

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Eine Frau in hellem Mantel steht an einem Mikrofon
Die rumänische Schauspielerin und Romni Mihaela DraganBild: Keno Verseck/DW

Mihaela Dragan steht im Kegel des Scheinwerferlichtes. Sie spielt in diesem Stück die Rolle einer Frau namens Luna. Ihr Blick wandert langsam durch die Reihen des Publikums. Außer ihrer Stimme ist im Saal kein einziges Geräusch zu hören. Sie spricht mit fester, entschlossener Stimme, aber nicht sehr laut.

"Zwei Jahre lang habe ich nachgedacht, wie ich darüber reden kann, dass auch Frauen sich missbräuchlich verhalten, ohne dass dies noch mehr Hass auf uns zieht", sagt Luna. "Nun, wir sind eben auch Menschen. Hört auf, uns zu infantilisieren, wir sind zu derselben Gewalt fähig wie ihr, die Männer. Bloß, dass wir nicht dieselbe Macht und denselben Einfluss haben. Und außerdem gehen wir in die Therapie."

Eine Frau steht mit ausgebreiteten Armen vor einem Mikrofon, links uns rechts halten zwei Personen ihre Arme fest
Mihaela Dragan im Stück "Trauma Kink" am Bukarester "Theater der Dramaturgen"Bild: Keno Verseck/DW

Das "Theater der Dramaturgen" in Bukarest: Eine kleine, aber feine Bühne im Zentrum der rumänischen Hauptstadt, an der namhafte Regisseure und Schauspieler, aber auch Avantgarde-Theatermacher des Landes inszenieren. An diesem Abend ist ein Stück der Bukarester Theatergruppe Giuvlipen zu sehen. Es ist die erste feministische Roma-Theatergruppe der Welt. Der Name - Giuvlipen - bedeutet in Romani, der Sprache der Roma, Feminismus. Das Stück, das an diesem Abend zu sehen ist, heißt "Trauma Kink". Es geht darin um Kink, also um nicht-normative sexuelle Vorlieben, und um Traumata, es geht um das Verhältnis von auslebbarer Lust und unerlaubter Grenzüberschreitung, um Hedonismus und Missbrauch, um Leiden, Aufwachen, Selbstermächtigung und Widerstand.

Keine Schublade

Geschrieben hat das Stück Mihaela Dragan. Die 37-Jährige gründete die Theatergruppe Giuvlipen 2014 zusammen mit einer Freundin, der Schauspielerin und Designerin Zita Moldovan. Nach einem Jahrzehnt ist Giuvlipen, wie auch Mihaela Dragan selbst, einem interessierten Publikum in Rumänien gut bekannt. Die Theatergruppe hat einige prestigeträchtige Preise in Rumänien und im Ausland erhalten, oft machen die Inszenierungen von Giuvlipen in rumänischen Medien Schlagzeilen.

Eine Frau schaut in den Spiegel, man sieht ihr Spiegelbild. Auf einer Kommode liegen viele Schminkutensilien
Mihaela Dragan vor einem Theaterauftritt in der MaskeBild: Keno Verseck/DW

Dabei passt Giuvlipen in keine Schublade. Die Gruppe macht kein Mainstream-Theater. In ihren Inszenierungen mischen sich klassisches Theaterspiel mit Performance, Musik, Tanz und Dokumentation. Giuvlipens Mitglieder verstehen sich als Künstlerinnen und Künstler und als politische Theaterschaffende. Sie wollen aber ausdrücklich kein Aktivisten- und Minderheiten-Kollektiv sein. Sie thematisieren Rassismus und Diskriminierung von Roma und anderen Menschen. Aber nicht nur. Sie sprechen auch über Zerrissenheit zwischen Tradition und Neuem, über Zwänge und Enge in den eigenen Roma-Gemeinschaften, über das Stehen zwischen allen Stühlen, über Coming of Age, über Queerness und Sexualität.

Fasziniert von Großvaters Auftritten

In keine Schublade zu passen, ist auch Mihaela Dragans Lebensgeschichte. Sie stammt aus Candesti, einem Dorf in der südostrumänischen Provinz. Ihre Eltern arbeiteten in einer Erdölraffinerie in der Nähe des Schwarzmeerhafens Konstantza, eine halbe Tagesfahrt vom Dorf entfernt. Sie wuchs deshalb zumeist bei ihren Großeltern auf.

Sie habe immer gewusst, dass sie Romni sei, aber sie habe keine Kindheitsgeschichte von Diskriminierung und schwerwiegendem Rassismus zu berichten, sagt Mihaela Dragan. "Natürlich gab es diese typische Segregation. Wir Roma wohnten im schlechteren Teil des Dorfes", erzählt sie. "Aber in der Schule wurden wir nicht benachteiligt. Wenn du gut gelernt hast, dann war alles in Ordnung. Vielleicht lag es daran, dass wir Roma fast wie alle anderen lebten. Unsere Eltern hatten Arbeit, fast jede Familie besaß einen kleinen Garten, wir Kinder gingen fast alle zur Schule. Pogromartige Zwischenfälle wie anderswo in den 1990er Jahren in Rumänien gab es bei uns nicht."

Mehrere Personen stehen auf einer Bühne und heben die Hände
Mihaela Dragan auf der Bühne des "Theaters der Dramaturgen"Bild: Keno Verseck/DW

Ihr Großvater war Akkordeonspieler und nahm sie oft auf Hochzeiten oder Tauffeiern mit, auf denen er spielte. "Ich sah, wie er sich feine Kleider anzog, wie er plötzlich ein anderer Mensch zu werden schien, ich sah seine Auftritte und war fasziniert. Vielleicht war es deshalb, jedenfalls wollte ich immer Schauspielerin werden, und ich bin es geworden", erzählt Mihaela Dragan lächelnd. "Ich mochte gern Gedichte rezitieren, ich brachte Kleidungsstücke mit in die Schule, ich habe geschwänzt, um ein Bühnenbild zu bauen und Theater zu spielen, und irgendwann wusste sich meine Lehrerin nicht mehr zu helfen. Ich fand aber, dass ich etwas Cooles mache, viel cooler als jede Schulstunde."

Hautfarbe zu dunkel für Ophelia und Julia

Ihre erste tiefgreifende Erfahrung von Rassismus machte Mihaela Dragan an der Universität im siebenbürgischen Klausenburg (Cluj), wo sie Schauspiel studierte. "Damals gab es dort Plätze für Roma, ich bewarb mich und wurde genommen", erzählt sie. "Überall hörte ich dann im Laufe der Zeit, ich sei nur genommen worden, weil ich Romni und 'Minderheitlerin' sei. Nach einem Jahr hatte ich die Nase voll, bin gegangen und habe in Bukarest weiter studiert."

In Bukarest studierte sie bei der rumänischen Schauspielerin und Regisseurin Sanda Manu, einer Legende des rumänischen Theaters. Auch bei ihr machte sie Erfahrungen mit Rassismus. "Sie sagte mir zum Beispiel, ich würde nie Rollen wie Ophelia oder Julia aus Shakespeares Stücken "Hamlet" und "Romeo und Julia" spielen können, da meine Hautfarbe zu dunkel sei. Und überhaupt würde ich nie eine richtige Schauspielerin sein können, da meine Art zu sprechen und mich zu bewegen, einfach zu anders sei."

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und wird von einer anderen Frau geschminkt
Mihaela Dragan vor einem Auftritt in der Maske des "Theaters der Dramaturgen"Bild: Keno Verseck/DW

Es war in dieser Zeit, als Mihaela Dragan begann, sich mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen. Sie belegte an der Universität einen Kurs für Romani. Sie lernte Gleichgesinnte kennen. Sie war Mitbegründerin der Theatergruppe Giuvlipen. Und sie schrieb ihr erstes Theaterstück, der Titel: "Erzähl ihnen von mir". Es geht darin um das Lebensgefühl von Roma-Frauen zwischen Rassismus der Mehrheitsgesellschaft und patriarchalem Konservatismus vieler Roma-Gemeinschaften. "Ich war es leid, immer diesen Diskurs zu hören, dass die Roma nur Schulbildung brauchen, dann seien alle Probleme wie von selbst gelöst", sagt Mihaela Dragan. "In dem Stück versuchte ich, die komplexe Lebensrealität von Roma-Frauen zu thematisieren, beispielsweise die Verheiratung von Minderjährigen, die in manchen Gemeinschaften praktiziert wird."

Gesellschaftskritik statt Bitte um Akzeptanz

Mihaela Dragan ist seitdem zu einer der kreativsten und produktivsten Roma-Theaterkünstlerinnen Europas geworden. Sie verfasste als Autorin oder Ko-Autorin ein Dutzend Theaterstücke und wirkte an deren Inszenierung mit. So etwa am Stück "Kali Tras" (Schwarze Angst), in dem es um den Porajmos geht, den Völkermord an den Roma in Rumänien während des Zweiten Weltkriegs.

Mihaela Dragan spielte auch in Filmen der französischen Schauspielerin und Regisseurin Fanny Ardant und des vielfach preisgekrönten rumänischen Regisseurs Radu Jude. Und sie trat am Berliner Gorki-Theater in "Roma Army" auf, der ersten großen Theaterproduktion weltweit, in der nur Roma-Schauspieler mitwirken.

Bukarest: Roma-Theater gegen Klischees

Obwohl Mihaela Dragan in Rumänien inzwischen eine bekannte Größe in der Theaterwelt ist, fühlt sie sich oft nicht so wahrgenommen, wie sie es sich wünscht. "Die Resonanz auf das, was wir bei Giuvlipen machen, ist gemischt", sagt sie. "Wir gelten als exotisch, als Außenseiterinnen, wir werden nicht als gleichwertig mit dem Mainstream wahrgenommen, wir bekommen viele Hasskommentare in sozialen Medien, und man sieht uns irgendwo in einer Ecke. Es gibt auch einen Teil der Gesellschaft, dem es gefällt, Theaterstücke über die armen, benachteiligten Roma anzuschauen und hinterher Krokodilstränen zu vergießen. Ich möchte aber kein Theater machen, mit dem ich sage, bitte akzeptiert uns doch, ich möchte Gesellschaftskritik üben."

Und in der Zukunft - wo sieht sie sich in Rumänien, in Europa als Theatermacherin? Was wünscht sie sich am meisten? Mihaela Dragan überlegt eine Weile. Dann sagt sie: "In Rumänien zum Beispiel bekomme ich fast nur Angebote, in Filmen als Roma-Blumenverkäuferin oder etwas in dieser Art zu spielen. Ich lehne das ab, ich spiele solche Rollen nicht. Ich würde gern erreichen, einfach für meinen künstlerischen Wert anerkannt zu werden, unabhängig davon, dass ich Romni bin. Aber dafür ist die Zeit noch nicht gekommen."

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter