Eine Nacht in der rumänischen Metropole
4. März 2009Der Taxifahrer chauffiert uns durch den chaotischen Feierabendverkehr. Ioana, eine Freundin, hat mir einen Theaterabend versprochen. Doch zunächst will sie mir den In-Treffpunkt ihrer Heimatstadt zeigen. In einer Gasse mit griechischem Namen steigen wir aus und treten ein in das "Cara cu Beere“ - Bukarests ältester Privatbrauerei.
Im Haus des Bieres
Hier sind selten Plätze frei. Nur gut, dass Ioana bereits reserviert hat - so bleibt uns das Warten erspart. Doch Warten ist hier durchaus ein Vergnügen, denn an der riesigen Bierbar wird unter hölzernen Balustraden, die eher ans Londoner Parlament erinnern, Bukarests bestes Bier gezapft. Und so vertreiben sich die noch tischlosen Gäste die Zeit mit einem ersten Humpen des würzig-herben "Cara cu Beere“-Gebräus.
Es bedarf keines Blickes in die Speisekarte, um festzustellen, dass die Preise hier für jedermann erschwinglich sind. Unter bemalten Kreuzgewölben sitzen Familien, deren tobende Kinder die Gänge für die Bedienung schon mal zum Hindernis-Parcour machen. In stilleren Ecken genießen junge Liebespaare ein Gläschen Wein und ältere Pärchen mit geschlossenen Augen warmen Apfelstrudel. Spannend zu beobachten ist auch noch etwas anderes: Über wogenden Brüsten balancieren die Kellnerinnen Teller voll feiner Schweinslendchen, gebrutzelter Rippchen und die literschweren Biergläser so, als bewegten sie sich inmitten dieser Mamaliga aus Geräuschen auf der Bühne eines großen Volkstheaters.
Auf dem Weg ins Alternativ-Theater
Nach dem Essen schlendern wir die "Calea Victorei“ hinunter. Hier, in einem Keller unter Bukarests bekanntester Flaniermeile, erklärt Ioana, befindet sich das "Teatrul Act“, eines der avantgardistischsten Theater Rumäniens. Bis zur Gründung dieser Bühne im Jahre 1998 habe es überhaupt kein freies Theater in Rumänien gegeben – zumindest keines, das auf freischaffende Regisseure, Szenografen und Schauspieler gesetzt habe.
Die Macher vom "Teatrul Act“ sind durchweg junge Leute, die auch zehn Jahre nach seiner Gründung zu den Pionieren der Szene gehören. Denn noch immer wird die off-Szene – die Strömungen jenseits des mainstreams - argwöhnisch beäugt. Sie entspricht so gar nicht dem, was die Mehrheit der Rumänen unter Theater versteht - nämlich lange Vorstellungen mit mehreren Pausen, in denen man sich die Beine vertritt, raucht und etwas isst.
Ioana erklärt uns, dass die Stücke, die hier gespielt werden, wesentlich kürzer seien als die in den großen Theatern. Außerdem hätten sie keine Pause. "Auch die Präsenz der Schauspieler ist für die rumänischen Theaterbesucher völlig ungewohnt. Hier ist kein Platz für pompöse Requisiten, hier herrscht absoluter Minimalismus“, sagt Ioana.
Junges Publikum im „Teatrul Act“
Kein Wunder also, dass ich im "Teatrul Act“ vor allem auf ein junges Publikum treffe. Auf dem Spielplan sehe ich viele Stücke, die sich kritisch mit Vergangenheit und Gegenwart auseinandersetzen. "Amalia atmet tief“, ein Stück über eine Mitläuferin unter Diktator Ceausescu erhielt vor kurzem erst den "Europäischen Autorenpreis“ in Heidelberg. Am heutigen Abend inszenieren junge Schauspielstudenten "Wer hat Angst vor Virginia Woolf“. Ihre Art das Stück in das heutige Rumänien zu transportieren, ist für viele rumänische Theaterbesucher noch immer gewöhnungsbedürftig, meint eine junge Frau neben mir: "Die ältere Generation von Regisseuren glaubt immer noch, dass das Theater die Welt ändern kann. Wir Jüngeren hingegen glauben eher, dass das Leben das Theater ändert.“
Vielleicht ist es genau das, was hier in diesem kleinen Theater unter der Calea Victorei begonnen hat und inzwischen in anderen kleinen Bukarester off-Theatern aufgegriffen wurde. Finanziell kämpfen die freien Theatertruppen zwar immer ums Überleben, denn von der extrem politisierten Kulturförderung der rumänischen Regierung haben sie keine Hilfe zu erwarten. Aber sie haben doch eine Entwicklung in Gang gesetzt, die jetzt, 20 Jahre nach dem Sturz Ceausescus, Früchte zu tragen scheint.