Entwicklung in Afghanistan "überaus bitter"
16. August 2021Jetzt gehe es erst einmal darum, Menschen in Sicherheit zu bringen, sagte die Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz in Berlin. Deutschland setze alles daran Landsleute und afghanische Ortskräfte, aber auch Menschen, die mit dem Entwicklungsministerium und Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet haben, außer Landes zu bringen.
Etwa 1900 der von der Bundeswehr in einer ersten Gruppe identifizierten Ortskräfte seien bereits in Deutschland oder sicheren Drittländern. Nun versuche man unter anderem auch, rund 1500 Mitarbeiter der Entwicklungszusammenarbeit und von NGOs aus Afghanistan zu bekommen. Zugleich räumte Angela Merkel ein, ob die Evakuierungen ausgeführt werden können, hänge von der Lage in Kabul ab. "Das haben wir leider nicht mehr in der Hand." Die Bedingungen in Kabul seien extrem schwierig.
"Bitter, dramatisch und furchtbar"
Die Kanzlerin zog ein kritisches Fazit des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan. Der fast 20 Jahre währende Einsatz sei "nicht so geglückt, wie wir uns das vorgenommen haben". Das sei eine Erkenntnis, "die überaus bitter ist", fügte sie hinzu. Die Bündnispartner müssten sich eingestehen, dass das keine erfolgreichen Bemühungen waren, daraus müsse man Lehren ziehen "und seine Ziele auch kleiner fassen" bei solchen Einsätzen.
Die Schnelligkeit des Vormarschs der Taliban habe man völlig unterschätzt: "Wir haben alle - da übernehme ich auch die Verantwortung - die Entwicklung falsch eingeschätzt." Seit dem Abzug der ausländischen Truppen habe die internationale Gemeinschaft erleben müssen, wie die Taliban in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit Provinz für Provinz, Stadt für Stadt wiedererobert und das ganze Land erneut unter ihre Kontrolle gebracht haben.
"Bitter, dramatisch und furchtbar ist diese Entwicklung insbesondere für die Menschen in Afghanistan", betonte die Kanzlerin. Die Lage sei "furchtbar für die Millionen Afghanen, die sich für eine freie Gesellschaft eingesetzt haben".
Maas: "Es gibt nichts zu beschönigen"
Zuvor hatte bereits Außenminister Heiko Maas mit Blick auf die unerwartet schnelle Machtübernahme durch die Taliban am Hindukusch eingeräumt: "Es gibt nichts zu beschönigen: Wir alle - die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft - wir haben die Lage falsch eingeschätzt." Dass sich die afghanischen Truppen den Taliban entgegenstellen würden, sei eine Fehleinschätzung der Alliierten gewesen. Daraus müssten auch die notwendigen Konsequenzen gezogen werden.
Noch vor wenigen Tagen hatte es in einer Einschätzung der US-Geheimdienste geheißen, Kabul könne noch mindestens drei Monate gehalten werden. Doch dann rückten die Extremisten fast ohne Gegenwehr der afghanischen Streitkräfte vor. Am Sonntag eroberten sie Kabul und besetzten nach eigenen Angaben auch den Amtssitz von Präsident Aschraf Ghani, der zuvor ins Ausland geflohen war.
qu/sti (dpa, rtr, afp, Phoenix-live)