Mercosur-Krise: Kein Ende in Sicht
24. August 2016Noch im Juli 2015 verkündete Cristina Fernández de Kirchner vollmundig, der Eintritt Venezuelas 2012 in das Freihandelsbündnis Mercosur sei ein voller Erfolg gewesen - und eine krachende Niederlage für alle, die dem Bündnis ein Scheitern vorausgesagt hatten. Doch seither ist nichts mehr passiert, das die Worte der damaligen argentinischen Präsidentin bestätigen würde. Im Gegenteil.
Die politische, wirtschaftliche und humanitäre Situation in Venezuela hat sich seither noch einmal dramatisch verschlechtert. Lösungsvorschläge zur Bewältigung der Krise, wenn es sie denn gibt, ersticken im Keim, weil sich das oppositionsgeführte Parlament und die sozialistische Regierung gegenseitig blockieren. Währenddessen leidet die Bevölkerung unter Lebensmittelknappheit, politischer Verfolgung und Perspektivlosigkeit.
Genau dieses Venezuela wäre nun an der Reihe, die halbjährlich wechselnde Präsidentschaft über den Mercosur zu übernehmen. Gewohnheitsmäßig hätten die amtierenden Vorsitzenden, derzeit Uruguay, den Staffelstab bei einem Gipfeltreffen im Juli übergeben. Doch nachdem Brasilien und Paraguay ihre Teilnahme mit der Begründung abgesagt hatten, Venezuela sei nicht in der politischen Verfassung, diese Aufgabe zu übernehmen, blies Uruguay die Zusammenkunft ganz ab.
Seither ist die Mercosur-Präsidentschaft vakant. Ein Treffen von Vertretern der Gründungsmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay blieb am Dienstag ergebnislos, obwohl es laut dem paraguayischen Vize-Außenminister "viel Übereinstimmung" gab.
Präsidentschaft vakant
Formell gesehen hätte es so weit gar nicht kommen dürfen, meint Heber Arbuet-Vignali vom Think-Tank "Uruguayischer Rat für Auswärtige Beziehungen" (CURI): "Weder implizit noch explizit war die Übergabe der Mercosur-Präsidentschaft jemals von einem Gipfeltreffen abhängig." Allerdings betont er auch: "Aus realpolitischer Perspektive erscheint es nicht ratsam, Venezuela in der gegenwärtigen Situation die Präsidentschaft zu übertragen."
Das hatte Paraguays Außenminister Eladio Loizaga bereits Ende Juli ausgeschlossen. Der Streit mit Venezuela schaukelte sich abermals hoch, vor einigen Tagen dann fror Loizaga die diplomatischen Beziehungen gänzlich ein. Sein brasilianischer Amtskollege José Serra machte bereits klar, zu wessen Seite er tendiert, und nannte Venezuela ein "unvollständiges Mitglied", das fundamentale Aufgaben nicht erfülle. Bis zum 12. August dieses Jahres hätte das Land sämtliche Normen der 50 Mercosur-Vertragsbestandteile umsetzen müssen. Hat es aber nicht.
Jahre ohne Fortschritte
Auch der Mercosur insgesamt hinkt mit seinen Hausaufgaben mächtig hinterher. In den mehr als 20 Jahren seiner Existenz hat das Handelsbündnis nur wenige Hoffnungen seiner Befürworter erfüllt. Viele von ihnen sagen, es gebe zwischen den Mitgliedern mehr Ausnahmen vom Freihandel als Zollerleichterungen. Auch ein Abkommen mit der Europäischen Union (EU) ist seit 1999 nicht mehr vorangekommen.
Die schlechte Verfassung wichtiger Mitglieder erschwert die Situation zusätzlich: Das größte Land, Brasilien, steckt in einer tiefen wirtschaftlichen und politischen Krise, Argentinien erholt sich nur langsam von der jahrelangen Misswirtschaft der Kirchner-Regierungen.
Um der Freihandelszone und damit auch den nationalen Volkswirtschaften neues Leben einzuhauchen, sollen nun endlich die Verträge mit der EU vorangetrieben werden. Doch unter Führung Venezuelas würden die schwierigen Verhandlungen wohl ein weiteres halbes Jahr ergebnislos bleiben.
"Eine Regierung, die solche Schwierigkeiten im eigenen Land hat, kann kaum ein glaubhafter Verhandlungspartner sein", urteilt Arbuet-Vignali. Doch es ist nicht nur Venezuelas Staatspräsident Nicolás Maduro, der in Europa höchst umstritten ist, sondern auch Venezuelas Mitgliedschaft an sich.
Alte Feindschaften
Das Land hatte mehr als ein Jahrzehnt auf seine Mitgliedschaft warten müssen, weil Paraguay stets sein Veto eingelegt hatte. Dann nutzten die damals sozialistischen Regierungen Argentiniens, Brasiliens und Uruguays ein hastiges, aber vollkommen legales Amtsenthebungsverfahren gegen Paraguays damaligen Präsidenten Fernando Lugo, um das Land vom Mercosur zu suspendieren und Venezuelas Aufnahme zu beschließen.
Diese Wunde ist noch immer nicht verheilt. Inzwischen sind auch die anderen Regierungen Venezuela längst nicht mehr so wohlgesonnen wie einst. Brasiliens konservativer Interimspräsident Michel Temer will wegen Nichterfüllung der Mercosur-Verträge juristische Schritte gegen Caracas einleiten. Argentiniens wirtschaftsliberaler Präsident Mauricio Macri hat für die venezolanische Regierung ohnehin nichts übrig und scheint sich mehr für einen Beitritt Argentiniens zur Pazifik-Allianz - mit Chile, Kolumbien, Mexiko, Peru - zu interessieren, als für das Fortkommen des Mercosur. Nur Uruguay bekennt sich noch verhalten zur Partnerschaft mit Venezuela.
Ideologie statt Politik
Dass Präsident Maduro in Caracas gegen die "faschistische" Regierung Paraguays poltert und eine Verschwörung der "Tripel-Allianz" wittert, was als Anspielung auf einen Krieg zwischen den Mercosur-Gründungsmitgliedern im 19.Jahrhundert verstanden werden kann, ist eine vorhersehbare Randnotiz. Aber sie verdeutlicht, was die Wirtschaftsunion ist: ein Schauplatz ideologischer Grabenkämpfe. War einst das konservativ regierte Paraguay isoliert, hat es nun Verbündete in Argentinien und Brasilien.
"Dieser politische Konflikt ist sehr schwer zu lösen, aber inzwischen wirkt das ganze eher wie eine Telenovela", sagt der Uruguayer Arbuet-Vignali. Während die die Regierungen streiten, versinke der Mercosur in Ineffizienz und verpasse die Chance, ein Abkommen mit der EU zu schließen: "Wenn die Mercosur-Mitglieder sich schon gegenseitig nicht über den Weg trauen, wie wollen sie dann Dritte für sich gewinnen?"