Brasilien: Das Spiel ist aus
10. August 2016Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff rangiert im Nachrichtenstrom hinter den brasilianischen Athleten und ihren Medaillen. Auch eine wichtige Abstimmung im Senat im Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff konnte daran nichts ändern. Die politische Zukunft ihrer Präsidentin scheint immer weniger Brasilianer zu interessieren.
Das Ergebnis indes war deutlich: 59 der 81 Senatoren stimmten dafür, dass Dilma Rousseff sich wegen angeblicher Verstöße gegen das brasilianische Haushaltsrecht bei der Finanzierung ihres Wahlkampfes 2014 vor Gericht verantworten muss. Damit ist die rechtliche Grundlage für das endgültige Ende ihrer Präsidentschaft gegeben: Rousseff gilt nun offiziell als Angeklagte. Die definitive Abstimmung findet Ende des Monats erneut im brasilianischen Senat statt. Die Amtsenthebung gilt als sicher.
Spielen mit dem Smartphone
"Dilma hat es nicht geschafft, zusätzliche Stimmen zu ihren Gunsten zu mobilisieren", schreibt Bernardo Mello Franco, Kolumnist bei der brasilianischen Tageszeitung "Folha de Sao Paulo". Nein, Rousseffs Präsidentschaft interessiert niemanden mehr: Selbst die 81 Senatoren machten sich keine Mühe, ihre Langeweile und ihr Desinteresse an dem komplizierten Amtsenthebungsverfahren zu verbergen. Während der Plädoyers von Anklage und Verteidigung verfolgten sie auf ihren Smartphones die neuesten Ergebnisse der Olympischen Spiele in Rio.
Im Austragungsort selbst scheint man sich erst recht nicht für die juristischen Wendungen des Amtsenthebungsverfahrens zu interessieren: Viele Cariocas, wie die Einwohner Rios heißen, nutzen die Spiele bewusst für eine politische Atempause. Im renovierten Hafenviertel "Porto Maravilha" im historischen Zentrum präsentieren sich die Sambaschulen der Stadt und begeistern die zahlreichen Besucher mit Tanz und Trommelwirbeln.
"Vergiss mich!"
Rund 80.000 Menschen schlendern die dort eingerichtete Feiermeile, den "Вoulevard Olimpico", entlang. Doch ganz ohne politische Anspielungen kommt die Olympia-Party dann doch nicht aus: Ausgerechnet am Tag nach der Abstimmung im Senat präsentiert sich dort der Karnevalsblock "Vergiss mich!"
Es scheint, als könnte dieses karnevalistische Motto für Brasiliens Noch-Präsidentin Rousseff schon bald Wirklichkeit werden. Während die Spiele Rio auf den Kopf stellen, scheint das politische Spiel in der Regierungshauptstadt Brasilia gelaufen und das politische Schicksal Rousseffs besiegelt.
"Das schlechte Abstimmungsergebnis für Rousseff ist Ausdruck der fehlenden politischen Koordination im Regierungslager", meint "Folha"-Kommentator Mello Franco hämisch. "Das war das Markenzeichen der Regierung Rousseff: Sogar die richtigen Entscheidungen kamen zum falschen Zeitpunkt."
Kommentator Ricardo Noblat, Kolumnist beim Prestigeblatt "O Globo" aus Rio und einer der schärfsten Kritiker Rousseffs, gönnt der Präsidentin noch nicht einmal im Nachhinein politische Genugtuung. "Sie kann nur darauf hoffen, dass der Korruptionsskandal um den Mineralölkonzern Petrobras auch bei der Regierung von Interimspräsident Michel Temer wie eine Bombe einschlägt und sich seine Regierung auflöst", sinniert Noblat. "Aber selbst dieser bittere Triumph bringt sie nicht zurück in den Regierungspalast."
Ein letztes Aufbäumen
Die Anhänger der Arbeiterpartei PT wollen sich mit der bevorstehenden Amtsenthebung ihrer Präsidentin nicht ohne Widerstand abfinden. Sie gingen am Dienstag in elf Bundesstaaten zu Tausenden auf die Straße, um gegen den Übergangspräsidenten Michel Temer zu demonstrieren.
Bereits der Protest war hart erkämpft: Erst am Montag hatte ein Richter aus Rio de Janeiro das Demonstrationsverbot während der Olympischen Spiele aufgehoben, das auf Antrag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), des Bundesstaates Rio de Janeiro und der brasilianischen Regierung im Vorfeld der Spiele verhängt worden war.
Die brasilianische Staatsanwaltschaft sah darin einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit und legte Berufung ein: Friedliche Proteste sowie Transparente auf Tribünen in Wettkampfarenen dürften nicht verboten werden. Die Richter gaben dem statt. Ein kleiner Triumph für Dilma Rousseff und ihre Anhänger, vielleicht der letzte.