EGMR verurteilt Russland im Fall Magnitski
27. August 2019Russland hat nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall des im Gefängnis gestorbenen kremlkritischen Anwalts und Wirtschaftsprüfers Sergej Magnitski mehrfach gegen Menschenrechte verstoßen. Der Gerichtshof mit Sitz in Straßburg verurteilte Russland zur Zahlung von insgesamt 34.000 Euro Entschädigung an die Witwe und die Mutter Magnitskis.
Magnitski sei in der Haft misshandelt worden, heißt es in dem Urteil. Außerdem sei seine Bitte um ärztliche Behandlung von den Behörden mehrfach ignoriert worden. Die medizinische Versorgung in einer Haftanstalt in Moskau sei unzureichend gewesen und habe letztendlich zu Magnitskis Tod geführt, erklärte das Gericht.
Das russische Justizministerium teilte mit, es prüfe das Urteil. "Innerhalb von drei Monaten wird das Ministerium entscheiden, ob es Einspruch einlegen wird", teilte die Behörde der russischen Agentur Interfax mit.
Gerichtsprozess nach dem Tod
Magnitski hatte Beamten des russischen Innenministeriums Betrug in Höhe von umgerechnet rund 207 Millionen Euro vorgeworfen, war dann unter Vorwürfen des Steuerbetrugs festgenommen worden und starb Ende 2009 im Untersuchungsgefängnis - nach offiziellen Angaben an Herzversagen. 2013 sprach ihn ein russisches Gericht der Steuerflucht schuldig.
Die russischen Behörden hätten berechtigte Gründe für die Annahme gehabt, dass Magnitski in einen Steuerbetrug verwickelt gewesen sei, teilte der EGMR nun mit. Die Haft seit jedoch unverhältnismäßig gewesen. Der Verdacht sei keine Rechtfertigung dafür, Magnitski mehr als ein Jahr in Untersuchungshaft festzusetzen. Außerdem sei er in überfüllten Zellen ohne eigenen Schlafplatz festgehalten worden, was gegen seine Rechte verstoßen habe, heißt es in dem Urteil.
Weiter kritisierte das Gericht, dass die Todesumstände nie sorgfältig untersucht worden seien. Zudem seien der Prozess gegen ihn und die Verurteilung posthum "an sich unangemessen" gewesen. Der EGMR hatte sich mit dem Fall wegen einer Beschwerde befasst, die noch von Magnitski selbst stammt. Seine Familie führte diese nach seinem Tod weiter.Der Menschenrechtsgerichtshof gehört zum Europarat und ist kein EU-Gericht.
Mit Lobbyarbeit zum Magnitski-Gesetz
Magnitskis Arbeitgeber, der US-Investmentbanker Bill Browder, machte den 37-Jährigen posthum mit einer internationalen Kampagne zu einem Symbol für Menschenrechtsverstöße in Russland. Maßgeblich aufgrund von Browders Lobbyarbeit unterschrieb US-Präsident Barack Obama 2012 ein eigens nach Magnitski benanntes Gesetz zu politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland bei Verletzung von Menschenrechten. Auch andere Länder wie Großbritannien, Kanada und die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland folgten mit ähnlichen Gesetzen. Derzeit wird die Einführung in weiteren EU-Staaten diskutiert.
Browder zeigte sich im Interview mit der Deutschen Welle (DW) zufrieden mit dem Urteil: "Im Endeffekt heißt es, dass die russische Regierung Magnitski ermordet hat." Auch wenn juristisch keine Person zur Rechenschaft gezogen werde, sollte nach Browders Ansicht die Wirkung der Magnitski-Gesetze nicht unterschätzt werden. Mit diesen könne man auf das Geld und die Reisefreiheit verantwortlicher Personen abzielen. "Das mag nicht nach echter Gerechtigkeit klingen, und das ist es auch nicht. Aber es ist etwas, das diese Leute sehr wertschätzen", so Browder zur DW. Damit könne der Straflosigkeit eine Ende gesetzt werden.
ust/ww (dw, dpa, afp, echr)