Rumäniendeutsche: "Menschen. Zu verkaufen"
Veröffentlicht 12. Juni 2024Zuletzt aktualisiert 13. Juni 2024"Menschen. Zu verkaufen" - so heißt das Stück der rumänischen Autorin und Regisseurin Carmen Lidia Vidu. Es handelt vom Freikauf der Rumäniendeutschen durch die Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1969-1989. Das Deutsche Staatstheater Temeswar (DSTT) hat das Stück im Badischen Staatstheater Karlsruhe aufgeführt, in der Partnerstadt von Temeswar.
"Auf Auslandstournee zu sein, ist für das DSTT wie wahrscheinlich für jedes Minderheiten-Theater eine Herausforderung, da man zuhause einen nur begrenzten Zuschauerkreis hat", sagt Intendant Lucian Varsandan der DW. Ein Auftritt gerade in Deutschland sei etwas ganz besonderes für die deutschsprachige Bühne aus Temeswar, und man sei neugierig, wie das Publikum auf so ein Thema reagiere. Da unter den Zuschauern auch Menschen seien, die selbst aus Rumänien stammen, habe der Theaterabend auch eine persönliche Note.
Schätzungsweise zwei Milliarden DM wurden bezahlt
"Dieser Handel ist einzigartig in der jüngsten Geschichte Europas", betont Carmen Lidia Vidu im DW-Gespräch. Sie hat sich vor allem mit Dokumentartheater über die blutige rumänische Revolution, über Städte und Gemeinden in der Diktatur, aber auch über Probleme und Hoffnungen der heutigen Jugend einen Namen gemacht. Dabei setzt sie auch auf multimediale Produktionen.
In dem Stück, mit dem das deutschsprachige Theater von Temeswar in Karlsruhe und später Berlin gastiert, geht es konkret um den Freikauf von rund 225.000 Rumäniendeutschen, die seit Jahrhunderten in der Region gelebt hatten. Die Siebenbürger Sachsen kamen schon im 12. Jahrhundert in das heutige Rumänien, die Banater Schwaben Ende des 17. Jahrhunderts. Doch unter dem langjährigen Staatschef Nicolae Ceausescu (1965-1989) wollten viele Rumäniendeutsche der Armut und der kommunistischen Diktatur entkommen und in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln. Bukarest machte daraus ein Geschäft und verkaufte seine Minderheit kurzerhand gegen harte Währung. Erst mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wende kamen Details ans Licht, die die Ausmaße des Menschenhandels deutlich machten.
Für die Bundesrepublik Deutschland hatte der CDU-Abgeordnete Heinz Günther Hüsch die Verhandlungen in der "Geheimsache Kanal" geleitet. Ihm gegenüber stand die Securitate, der berüchtigte Geheimdienst des kommunistischen Staats. Bukarest bestand darauf, dass die Abmachung geheim bleibt und drohte immer wieder mit einem Abbruch der Verhandlungen. So traf sich der im Oktober 2023 verstorbene Hüsch in regelmäßigen Abständen in Bukarest oder Köln mit Securitate-Offizieren und verhandelte über die Anzahl der Rumäniendeutschen, die jährlich das Land verlassen durften und über die Summen, die Bonn an Bukarest zu zahlen hatte.
Die Geldzahlungen pro Aussiedler schwankten im Laufe der Zeit und wurden von Bukarest hauptsächlich aufgrund der Ausbildung der Ausreisenden festgelegt. Die Gesamtsumme wurde nie genannt, schätzungsweise geht es um etwa zwei Milliarden DM (entspricht rund einer Milliarde Euro). Dazu kamen auch zahlreiche Kredite und Güter, die das Ceausescu-Regime als Gegenleistung verlangte, wie etwa Luxuslimousinen, Medizintechnologie oder gar Abhörtechnik.
Profit machen mit dem Elend der Menschen
Auf Securitate-Konten landeten darüber hinaus auch Schmiergelder, die die Betroffenen aus eigener Tasche zahlen mussten, um ihre Ausweispapiere zu bekommen. Und das in harter Währung, obwohl es streng verboten war, Devisen zu besitzen. So liehen sich viele Ausreisende Geld von Freunden und Verwandten in Deutschland, um Rumänien verlassen zu können. Dann gab es noch Betrüger, die versprachen, für gutes Geld das Ausreiseverfahren zu beschleunigen oder es nicht zu sabotieren, die die Ausreisewilligen also erpressten und aus ihrer Not Profit schlugen.
"Menschen. Zu verkaufen" basiert auf aufwendigen Recherchen in den Akten der Securitate, auf Gesprächen mit Historikern und Geheimdienst-Experten, mit dem Chefunterhändler Hüsch und dem Securitate-Offizier Stelian Andronic. Auch mit Betroffenen hat Carmen Lidia Vidu gesprochen und Videoausschnitte dieser Interviews sowie TV-Dokumente aus der Ceausescu-Zeit in ihr Stück einfließen lassen. Zu Wort kommen auch Hüschs Familie und mehrere Betroffene, die sich per Video oder Schauspieldarbietung an dieses dunkle Kapitel deutsch-rumänischer Geschichte erinnern. Beleuchtet werden auch Einzelschicksale von Menschen, die entweder offiziell ausgewandert oder geflohen sind. Ein Kind erzählt beispielsweise, wie sein Vater während der Flucht in einem Tank erstickte.
Das Publikumsgespräch wird zur Fortsetzung der Vorstellung
Sollte man mit Diktatoren verhandeln? Wieviel ist ein Menschenleben wert? Kann man Menschen retten, wenn diese als Ware behandelt werden? Hat der Handel zwischen Bonn und der Ceausescu-Diktatur wesentlich zum Ende der über 800-jährigen deutschen Kultur in Rumänien beigetragen? Wie ist es den Ausgewanderten in ihrer neuen Heimat ergangen? Wie den wenigen, die in Siebenbürgen oder dem Banat zurückgeblieben sind - ohne die vertrauten Nachbarn und Verwandten?
All diese Fragen und noch mehr werden in Vidus Stück angesprochen. Dabei besteht für die Regisseurin kein Zweifel, dass dem deutschen Unterhändler Hüsch das Schicksal der Rumäniendeutschen am Herzen lag. "Heinz Günther Hüsch wollte tatsächlich diesen Menschen helfen. Mich hat seine menschliche Seite berührt", sagt sie.
Viele der Zuschauer in Rumänien und in Deutschland erkennen sich in Vidus Stück wieder, weil sie selbst oder ihre Vorfahren aus Rumänien stammen. Andere berichten, dass sie bisher entweder gar nichts oder nur sehr wenig über dieses Thema wussten. Das zeigten die Publikumsgespräche nach den Vorstellungen in Temeswar und bei den Gastspielen in Rumänien und auch jetzt in Deutschland.
Für die beiden Vorstellungen in Karlsruhe mussten wegen der riesigen Anfrage zusätzliche Sitzmöglichkeiten im Saal bereitgestellt werden. In Berlin war die Vorstellung am Freitag (14.06.2024) restlos ausverkauft - und das obwohl zeitgleich das Eröffnungsspiel der Fußball-EM mit deutscher Beteiligung stattfand. Auch die an die Vorstellungen anschließenden Gespräche des Ensembles mit dem Publikum stießen auf reges Interesse. Aus dem Kreis der Zuschauer meldeten sich Rumäniendeutsche zu Wort, die von Erlebtem erzählten, sowie Nichtbetroffene, die mehr erfahren wollten. Dabei kam auch der Schmerz derer zum Ausdruck, die damals ihre Heimat verloren hatten und bis heute darunter leiden.
In Berlin berichtete die Tochter des ehemaligen deutschen Unterhändlers Hüsch, die Fernsehjournalistin Hanni Hüsch, wie sie als Kind und Jugendliche das Engagement ihres Vaters wahrgenommen habe und wie sehr sie nach wie vor an der Thematik und an Rumänien selbst interessiert sei. "Das Publikumsgespräch wurde in gewisser Form zur Fortsetzung unserer Vorstellung", so DSTT-Intendant Varsandan.
Hinweis: Der Artikel wurde nach der Vorstellung am 14.06.2024 in Berlin aktualisiert.