Mann im Rock: Wie Mode Männlichkeit neu definiert
21. Juni 2017In der Welt der Herrenmode hat sich in den letzten zehn Jahren viel bewegt. Sicher, bereits im 19. Jahrhundert hatten die britischen Dandys Mode zum gesellschaftlichen Thema gemacht. Und nur ein paar Jahrzehnte später schufen Couturiers einen ganzen Industriezweig. Aber insgesamt widmeten die männlichen Designer der Männermode lange Zeit nur sporadisch ihre Aufmerksamkeit. Das hat sich inzwischen deutlich geändert - genauso wie die Bedeutung von Herrenmode und klassischer Männlichkeit im Allgemeinen.
"Heute werden Trends in der Herrenmode - zumindest in den Städten - akzeptiert, die vor einigen Jahrzehnten noch als 'schwul' angesehen worden wären. Zum Beispiel die Farbe Pink, hautenge Hosen oder der männliche Haardutt. Bei letzterem darf man allerdings nicht vergessen, dass der Dutt ursprünglich von Samurai-Kriegern und Sumo-Kämpfern abgeguckt wurde, nicht etwa von Frauen", sagt Anja Aronowsky Cronberg vom "London College of Fashion" der DW.
Die Modewochen für die Männermode für Frühjahr und Sommer 2018, die nach den Schauen in London, Florenz und Mailand am 25. Juni in Paris enden werden, zeigen: Die neue Maskulinität beherrscht die Modewelt weiterhin.
Klassiker aussortiert: Windjacke statt Jackett
In dieser Saison scheinen die Designer gegen sämtliche Konventionen aufzubegehren. Klassiker der Herrenmode, wie etwa Anzüge, werden zur Rarität.
Die junge britische Marke Tourne de Transmission, die Anfang Juni die London Fashion Week eröffnete, zeigt, wohin die Reise gehen soll: Alpine Windjacken kombiniert mit Shorts in Übergröße, dazu weiße Socken in Sandalen mit Klettverschluss. Sillouhetten der 80er Jahre prägen das Gesamtbild der Entwürfe vom Label Topman, kombiniert mit Sneakers und kimonoartigen Mänteln.
In Mailand führte Ermenegildo Zegna, einer der großen Hoffnungsträger italienischer Eleganz, den Trend fort - mit Windjacken und Blousons als Ersatz für Jacketts und Hemden. Man sehe und staune: Die Luxus-Marke Versace bringt jetzt auch legere Cargo-Hosen auf den Laufsteg.
Es wird immer lässiger
"Das sind einfach die Zeichen der Zeit - die meisten Männer tragen kaum noch maßgeschneiderte Anzüge außerhalb des beruflichen Kontextes, in dem solche vorgeschrieben sind", sagte Eugene Rabkin, Chefredakteur vom Modemagazin "Style Zeitgeist" der DW.
Anja Cronberg, die auch Redakteurin des jährlich erscheinenden kritischen Modejournals "Vestoj" ist, hebt noch einen weiteren Grund für die kürzliche Umwälzung in der Männermode hervor: "Wenn man sich die Geschichte der Mode anschaut, stellt man fest, dass sie in der westlichen Welt immer lässiger wird. Man denke an das frühe 20. Jahrhundert, als die Damen noch Korsett trugen und die Herren gestärkte Hemdkragen. Bereits in den 1920er Jahren wurde das gesamte Erscheinungsbild viel entspannter."
Dank moderner Technologie "können wir jetzt dehnbare Materialien herstellen, Schuhe, mit denen wir dem davonfahrenden Bus hinterher rennen können", sagt sie. "Kein Wunder, dass wir Leggings, T-Shirts, und Turnschuhe gegenüber allen anderen Kleidungsstücken bevorzugen, die uns einengen, wundscheuern oder kratzen."
Die Eleganz eines gut geschnittenen Herrenanzugs kann mit lockerer Freizeitkleidung kaum konkurrieren, heute beherrscht "Activewear" Laufstege und Schaufenster.
Die Modeschöpfer scheinen sich kaum nach dem klassischen Dreiteiler zurückzusehnen. Anstatt ihn zu ehren, hat Francesco Risso von Marni ihn für seine letzte Kollektion in Stücke gerissen - ähnlich wie Demna Gvasalia vom französischen Luxuslabel Balenciaga und viele andere in den Jahren zuvor.
Männer in Röcken
Aber die Designer sind mit Zerstörung traditioneller Männlichkeitssymbole noch nicht am Ende. Die Herrenmode hat mittlerweile auch eine ganze Menge aus der Damenmode übernommen. Manche treiben es so auf die Spitze, dass ihre Herrenmodeschau wie ein Parademarsch kleiner Jungs wirkt, die mit den Klamotten der Mutter "Verkleiden" spielen.
"Offensichtlich muss man in der Modebranche stets darum bemüht sein, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Bei all der Konkurrenz kann man das nur noch mit einem total unkonventionellen Design schaffen", kommentiert Cronberg. "Damit stilisiert sich der Designer zum Künstler hoch. Wer Männer in Röcke steckt, schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe."
Tragbarkeit ist wichtig
Allerdings, so Eugene Rabkin, haben solche Kleidungsstücke nur eine begrenzte Lebensdauer. Denn kaum jemand will sie tragen: "Außerhalb der Klientel, die sowieso bereits auf feminine Kleidung abfährt, lässt sich das Zeug einfach nicht verkaufen. Im Großen und Ganzen spricht die Mode des Laufstegs nur Personen aus der Modebranche an, sowie Presse und Händler. Sie bewegen sich in einer Art Blase, die ihnen eine recht gewagte Einstellung zur Mode ermöglicht".
Wie London in dieser Saison gezeigt hat, ist der androgyn anmutende, geschlechtsübergreifende Look trotzdem noch in. Global agierende Billighersteller werden ihn für die Massen adaptieren. Diesen Trick haben aber auch schon einige Designerkollektionen angewandt. Letzte Woche zeigte der Meister der genderneutralen Mode, J. W. Anderson, der zuvor männliche Models mit hyperfemininen Outfits ausgestattet hatte, in Florenz eine stark abgeschwächte Version dieses Stils. Rabkin erinnert sich an das einstimmige Urteil der Fachwelt, das da lautete: "Endlich mal was Tragbares von diesem J. W.!"
Wenig Bahnbrechendes
Doch tragbare, weniger grelle Designs sind auch weniger exquisit. Die Schaufenster in London, Florenz und Mailand wirken in diesem Juni ungewöhnlich trostlos.
In der Theorie mögen die Men's Fashion Weeks fast wie eine kulturelle Spielwiese kreativer Kräfte erscheinen. In der Praxis jedoch zwingen hohe Erwartungen, Industriestrukturen und eine überwältigende Konkurrenz Hersteller und Designer dazu, sich auf weniger aufregende sommerliche Muster und einfache Ensembles aus Shorts und Sandalen zu beschränken.
Sogar das große italienische Label Prada, das die Mode der letzten 25 Jahre entscheidend prägte, hat sich dem Trend hin zu gewöhnlichen Kleidungsstücken ergeben. Ihre Entwürfe peppen sie bloß mit ein bisschen Manga-Flair auf. Reichlich wenig "Eskapade" für den nächsten Sommer.
Subkulturen werden schnell vereinnahmt
In dieser Woche sind nun alle Augen auf Paris gerichtet, das sich wieder mal als Quelle der Avantgarde präsentieren kann - vor allem weil sie auf Newcomer setzt, die sich ihre Inspiration von der Straße oder von Subkulturen holen.
Diese Einstellung hat viele Trends generiert, die im Handel Erfolg hatten - man denke zum Beispiel an den Post-Soviet-Look der 90er Jahre. Dennoch warnt Rabkin vor den kulturellen Auswirkungen dieser Einstellung, Stichwort Samurai und Männerdutt.
"Subkulturen sind tot", behauptet er. "Die Vereinnahmung passiert heute mit Lichtgeschwindigkeit. Es ist fast unmöglich geworden, irgendeinen Bereich davor zu bewahren, alles wird in Windeseile vom Kapitalismus vereinnahmt. Das Abkoppeln visueller Normen von ihrem kulturellen Ursprung, und damit der Verlust ihrer eigentlichen Bedeutung ist eine der traurigsten Entwicklungen in der modernen Mode. Heute lautet das Motto: was konsumiert wird, macht auch Sinn."
"Die echten Kerle" sind immer noch da
Apropos Konsum: Man will es kaum glauben, aber heutzutage gehen Männer liebend gerne einkaufen. Laut dem globalen Marktforschungsinstitut Euromonitor wird der Herrenmodemarkt bis 2020 den Damenmodemarkt überholt haben - jedenfalls, was die Verkaufszahlen anbelangt.
Bedeutet das nun, dass Männer wirklich alles mitmachen müssen, was die Designer fabrizieren?
"'Die echten Kerle' sind keinesfalls verschwunden", betont Cronberg. "Obwohl in letzter Zeit viel von einer 'Krise der Männlichkeit' und der Entstehung des 'neuen Mannes' zu hören ist. Die Idee vom 'neuen Mann' hat sich die Modebranche natürlich sofort zunutze gemacht. Aber Skeptiker würden eher darauf hinweisen, dass Männer in flattrigen Blousons mit extra-langen Ärmeln eher mit der immer weiter zunehmenden Kommerzialisierung des alltäglichen Lebens und den Fortschritten in Marketing-Techniken zu tun haben, als mit der Entstehung eines 'neuen Mannes'".
Mode sollte man niemals allzu ernst nehmen, rät Cronberg. "Veränderung findet statt um der Veränderung willen: So lautet nun mal eben das Mantra der Mode".