Burkini-Debatte: "Mode ist immer politisch"
20. Juni 2017DW: Für die einen ist der muslimische Ganzkörper-Badeanzug ein Symbol für die Unterdrückung der Frau, für die anderen ein Kleidungsstück, das muslimischen Frauen erlaubt, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wie sehen Sie das?
Barbara Vinken: Ich glaube, das Problem ist, dass im Moment in Europa oder überhaupt im Westen dieser Krieg um die Verschleierung tobt. Um die Frage, wie und welche Teile des weiblichen Körpers gezeigt werden dürfen. Und natürlich ist der Burkini dann in diese Richtung rezipiert worden.
Ich habe kürzlich das olympische Beach-Volleyballturnier gesehen und da war die ägyptische Mannschaft vollverschleiert, also im Burkini. Und die Gegenmannschaft, die deutschen Frauen, die spielten in ziemlich kleinen Bikinis. Man kann sich ja wirklich fragen, warum man Volleyball im Bikini spielen muss. Ich finde das eine ganz witzige Art, nochmal zu überlegen, warum wir was wann wie machen.
Wie passt der Burkini in die Entwicklung der Bademode in Deutschland?
Der Burkini kommt ja nicht direkt aus der Bademode, sondern in gewisser Weise aus der Funktionsmode. Er wurde in Australien erfunden, damit die Schwimmerinnen, die islamischen Glaubens sind, auch Rettungsschwimmer werden können. Das ist eine klassische Funktionsmode. Ich persönlich sehe den Burkini in der Tradition dieser Ganzkörper-Neoprenanzüge.
Und natürlich auch - gerade was jetzt Australien angeht - in dieser Tendenz, die ja in Amerika auch ganz stark ist, dass man auf gar keinen Fall mehr Sonne an seine Haut lassen will. Und dass es deswegen eine Tendenz gibt, entweder in Kleidern oder in T-Shirts oder jedenfalls mit einem bedeckten Körper zu baden. Ich glaube, dass der Burkini eigentlich eher in diese Richtung geht. Diese Vorstellung, dass Sonne schön ist, dass man sich ihr aussetzen kann - diese Vorstellung ist schon so ziemlich an ihr Ende gekommen. Manche Leute gehen - fast schon phobisch - überhaupt nicht mehr in die Sonne.
Was halten Sie persönlich vom Burkini?
Ich habe diese Sonnen-Phobie nicht, ich bade ganz gerne im Bikini. Das gefällt mir gut. Mich stört der Burkini allerdings auch nicht. Mir ist das ziemlich egal. Ich finde allerdings schön, was man jetzt in Frankreich oft an den Stränden sieht: Dort haben die Leute keinen Burkini, der ist ja nicht so attraktiv eigentlich, sondern die haben manchmal so weite Schleier-Badeanzüge, so weite Schleier-Gewänder, mit denen sie auch ins Wasser gehen. Das ist natürlich sehr poetisch und sieht sehr schön aus.
Wie ist Mode mit politischen Debatten verknüpft?
Eigentlich ist Mode immer politisch. Ich habe vor kurzem ein fantastisches Bild aus den, ich glaube, 1950er Jahren gesehen: Da zwingt die Polizei an einem französischen Strand die Damen dazu, beim Bikini-Tragen den Nabel zu bedecken. Und jetzt das Bild in Nizza, wo die Polizei eine Dame, die am Strand liegt, dazu zwingt, ihr T-Shirt auszuziehen. Ich würde sagen, der Staatskörper, die Gesetze, die Vorschriften haben immer sehr stark - und interessanterweise immer mehr auf den Frauenkörper als auf den Männerkörper zugegriffen.
Auch hier in Deutschland, gab man sich nicht immer so freizügig wie heute. Bis in die 1920er Jahre hinein gingen Frauen auch hierzulande nur baden, wenn sie von Kopf bis Knöchel bedeckt waren. Wie kam es zu der kulturhistorischen Entwicklung?
In der Moderne ist der Hauptunterschied, den die Mode konstruiert, der zwischen "erotisch markiert weiblich" und "erotisch unmarkiert männlich". Dazu kam, dass die erotischen männlichen Zonen - das waren die Beine und der Po - auf die Frauen übertragen wurden und der Hauptfokus auf ihnen lag.
Die Entwicklung der Bademode folgt diesem Trend: Man sieht immer mehr vom Körper und immer weniger Stoff. Miniröcke, immer mehr und immer nacktere Beine - was früher auch vollkommen undenkbar war. Wir gehen mit der Moderne auf eine Entblößung des Frauenkörpers zu, die das ostentative Zeigen der körperlichen Schönheit übernimmt.
Viele betrachten die Freiheit des weiblichen Körpers in der westlichen Kultur als eine Errungenschaft der Moderne - und sehen im Burkini eine Art Bedrohung dieser Errungenschaften der Frauen- und Freiheitsbewegung. Können Sie das nachvollziehen?
Ich glaube, die Frauenbewegung hat nur ganz selten daran gearbeitet, dass die Röcke kürzer werden und die Dekolletés tiefer. Sie hat eher daran gearbeitet, dass es nicht zu einer Gleichsetzung kommt zwischen Ware und Weiblichkeit, dass es nicht zur Verdinglichung des weiblichen Körpers kommt, dass es nicht zu seiner Kommerzialisierung kommt in Richtung Pornographie.
Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen, dass das in Form des Bikini geschieht - aber ganz sicher ist das ein Problem, das gerade an die Mode herangetragen worden ist. Mode ist ja eher selten als eine feministische Errungenschaft betrachtet worden - wenn man einmal von Coco Chanel absieht. Da gibt es wenig Modeschöpfer, von denen die feministische Bewegung sagen würde, dass es hier um eine Befreiung oder so etwas geht.
Aber der Bikini war damals für viele Frauen auch ein Symbol für Befreieung, Selbstbewusstsein und Weiblichkeit.
Es ist ja nicht so, dass wir darüber reden, den Bikinis abzuschaffen. Also ich glaube, wenn wir jetzt überlegen würden, ob wir wieder eine Rocklänge vorschreiben oder ob wir wieder das Bedecken der Haare vorschreiben oder ob wir jetzt sagen, an den Stränden darf man nicht mehr im Bikini rumlaufen... das ist ja aber nicht der Fall.
Viele westliche Designer wie Dolce & Gabbana oder Sporthersteller wie Nike setzen auf Muslim Fashion. Sind das Komplizen einer Diktatur oder schaffen sie eine positive Konnotation von Religion und ermöglichen Teilhabe?
Ich finde bedauerlich, dass die Frauen sowohl in Europa als auch in arabischen Ländern wie Saudi-Arabien oder Iran gezwungen werden: Bei uns werden sie - etwa in der Schule - gezwungen, den Schleier abzulegen. In Saudi-Arabien werden sie gezwungen, sich zu verschleiern. Ich finde eigentlich, dass man in der Mode nicht mit Gesetzen und Zwang arbeiten sollte. Zumal ja auch viele junge Frauen, die Schleier tragen - etwa junge türkische Mädchen in Berlin - ihn ganz klar als Modeaccessoire für sich beanspruchen. Man kann die Leute nicht immer so entmündigen und ihnen alles vorschreiben. Man muss auch mal hören, was die damit wollen und was die tun. Das finde ich sinnvoller.
Klar, es ist natürlich gefährlich, wenn das den Mädchen von zu Hause vorgeschrieben wird. Aber interessanterweise sprechen die meisten Studien, die ich gelesen habe, nicht für diese Praxis in Deutschland. Die sprechen eher dafür, dass das Kopftuch angezogen wird als ein gewisser Akt des Protests. Als ein Akt der Selbstbehauptung, als ein Akt auch dagegen, was viele Leute als "Weiblichkeit als Konsumgut" begreifen. Diese Debatte über Stoffe auszutragen, würde ich eigentlich ganz witzig finden.