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Ständiger Ausnahmezustand

Margarete Wohlan1. Dezember 2008

Die Volksgruppe der Mengrelen lebt zwischen den Interessen Abchasiens und Georgiens. Korruption, Rechtlosigkeit und Schikane sind hier Alltag. Ein "Demokratie-Institut" versucht im Ringen um das eigene Recht zu helfen.

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Russische Friedenstruppen mit Panzer in Gali, Abchasien (Dezember 2006), Foto: Fieldreports
Russische Friedenstruppen in Gali, Abchasien (Dezember 2006)Bild: cc- by:FieldReports

Gali-Stadt, ein Ort in Abchasien, nahe der Grenze zu Georgien. Fahrzeuge des russischen Militärs und der Vereinten Nationen patrouillieren regelmäßig durch den Ort. Abchasien und Südossetien gehören völkerrechtlich zu Georgien. Beide Provinzen haben sich jedoch schon vor Jahren für unabhängig von Georgien erklärt.

Georgische Truppen griffen Anfang August 2008 Südossetien an. Russland marschierte daraufhin in Georgien ein und erkannte zu deren Unterstützung die Unabhänigkeit der beiden abtrünnigen Regionen an. Der Krieg zwischen Russland und Georgien endete mit der Vereinbarung einer Waffenruhe, die international beobachtet wird.

Gali-Stadt blieb zwar während des Krieges im August verschont, doch die Lage ist angespannt. Die Gali-Region liegt in der Konfliktzone zwischen dem georgischen und abchasischen Gebiet. Die Mehrheit der dort lebenden Menschen sind Mengrelen, eine Volksgruppe, die sich zu den Georgiern zählt. Sie wussten nicht, wie sich die Kriegsfolgen auf ihre Situation auswirken würden. Ein Leben in permanentem Ausnahmezustand, zerrissen zwischen abchasischen und georgischen Interessen, mit ihren Problemen auf sich allein gestellt.

Die Waffen schweigen seit 16 Jahren, immerhin

Die Menschen leiden noch an den Folgen des Krieges, der hier vor 16 Jahren tobte. Die ausgebrannten Häuser, zerstörten Straßen, verlassenen Landschaften erinnern sie täglich daran. 1992 hatte Abchasien seine Unabhängigkeit von Georgien erklärt, worauf die georgische Armee in Abchasien einmarschiert war. Ein blutiger Kampf begann, der über ein Jahr dauerte. Am Ende gelang es den Abchasen, die georgischen Truppen aus Abchasien zu verdrängen, mindestens 200.000 Menschen flüchteten nach Georgien. Seit 1994 besteht ein Waffenstillstandsabkommen, das von den Vereinten Nationen und Russland kontrolliert wird.

Ortsbesuch in der Gali-Region

Guram Skonia ist unterwegs in der Gali-Region. Er ist in Gali-Stadt geboren und aufgewachsen, und fühlt sich als Georgier. Anfang des Jahres hat er ein "Demokratie-Institut" gegründet, das den Menschen hilft, Rechtlosigkeit, Korruption und Schikanen durch Behörden zu bekämpfen, auf die man hier überall treffe, so Skonia. Auch internationale Organisationen könnten hier nichts tun, denn ihr Mandat erlaube es ihnen nicht. "Deshalb haben wir angefangen, uns dieser Probleme anzunehmen, uns um die Menschen zu kümmern. Sie vertrauen uns auch eher als Fremden, wenn sie Hilfe suchen", sagt Skonia.

Abchasen sitzen in den Schlüsselpositionen der Behörden

Die Situation in der Gali-Region ist kompliziert: Es gibt keinen funktionierenden Rechtsstaat, die meisten Positionen in der Verwaltung sind von Abchasen besetzt. Wenn Georgier oder Mengrelen sich eine Existenz aufbauen wollen, benötigen sie die Genehmigung der Abchasen - die sie manchmal erteilen und manchmal nicht, erzählt Skonia.

Aber das sei nicht die einzige Willkür, unter der Mengrelen und Georgier zu leiden haben. In Harest zum Beispiel gibt es ein großes Haselnuss-Anbaugebiet. Dorthin kämen dann Leute, erzählt Skonia, die behaupten, von der Regierung zu sein. "Sie fordern von den Besitzern 200 oder 400 oder noch mehr Kilo Haselnüsse als Steuerabgabe. Aber es gibt kein Gesetz, dass man so viel abgeben muss." Es sei ein sehr einfaches Beispiel dafür, sagt er, welche Probleme die Menschen hier haben.

"Eine Art Mission"

Das Demokratie-Institut kann im bescheidenen Rahmen Anwälte bezahlen, die in solchen Fällen die Besitzer anleiten, zu Behörden mitgehen und als Fürsprecher auftreten. Keine leichte Aufgabe - weder für diejenigen, die schikaniert werden, noch für ihre Helfer. Auch Guram Skonia sagt, er habe Angst. "Menschenrechte durchzusetzen ist eine sehr problematische Arbeit, bei der man sehr vorsichtig vorgehen muss. Es ist gefährlich. Aber es gibt keinen anderen Ausweg, die Probleme der Menschen hier zu lösen. Für uns ist es eine Art Mission."

Finanziert wird das Demokratie-Institut von Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA. Es hat zehn Jahre gedauert, bevor die abchasische De-facto-Regierung erlaubt hat, es zu gründen. Das Außergewöhnliche daran: Mengrelen, Abchasen und Georgier arbeiten zusammen.

Wegen häuslicher Gewalt in Gali niemals zur Polizei gehen

Maya Kvaratshela ist eine von ihnen. Sie engagiert sich vor allem in der Frauenarbeit. Denn die Situation in Gali - das Leben im Ausnahmezustand, in dem weder Krieg noch Frieden herrscht - prägt auch die Beziehung zwischen den Geschlechtern. Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch sind weit verbreitet. Aber die Frauen sehen keine Möglichkeit, sich zu helfen, erklärt Kvaratshela: "Wenn eine Frau zur Polizei gehen und darüber sprechen würde - etwas, was in Gali nie passieren wird - dann würden die Polizisten etwas finden, um die Täter nicht zu bestrafen. Die Korruption ist in den unteren Behördenhierarchien sehr hoch, auch bei der Polizei. In den meisten Fällen stehen sie den Tätern bei."

Maya Kvaratshela weiß, dass sie mit den Informationen, die sie erhält, vor einem abchasischen Gericht nichts ausrichten kann. Aber zumindest werden die vier Unterstützer-Staaten und die Vereinten Nationen sowie die georgischen und abchasischen Verantwortlichen offiziell über die Rechtsverstöße informiert.

Seine Gedanken anders als mit Waffen und Gewalt ausdrücken

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sie sich engagiert. Der Konflikt sei sehr kompliziert und berührt das Leben vieler Menschen, sagt sie. "Ich fühle mich verpflichtet, etwas zu tun, mit der Gemeinschaft, die mich umgibt. Den Menschen zeigen, dass es möglich ist, seine Gedanken anders auszudrücken als mit Waffen und Gewalt."

Ein Fahrzeug der UN-Mission in der abchasischen Stadt Suchumi (September 2008), Foto: dpa
Ein Fahrzeug der UN-Mission in der abchasischen Stadt Suchumi (September 2008)Bild: picture-alliance/ dpa