Zeitenwende im Armenhaus Europas
Die Republik Moldau am östlichen Rande Europas gelangt nur selten in die Schlagzeilen westlicher Medien. Und wenn überhaupt, dann mit Nachrichten über korrupte Politiker, über die langen Jahre im Würgegriff von Oligarchen, über den seit fast drei Jahrzehnten eingefrorenen Konflikt mit der abtrünnigen und von Moskau unterstützten Region Transnistrien. Und immer wieder mit Berichten über die bittere Armut großer Teile der Bevölkerung und Massenemigration.
Fast die Hälfte der vier Millionen Moldauer lebt und arbeitet im Ausland. Einige in Russland, die meisten in der Europäischen Union. Und vor allem diese Menschen, die sich in der EU einen Hauch von Normalität und relativem Wohlstand erarbeitet haben, sind jetzt nahezu geschlossen als mündige europäische Bürger in Erscheinung getreten. Ohne ihre Rücküberweisungen, die pro Jahr fast ein Viertel des moldauischen Brutto-Inlandsprodukts ausmachen, könnten ihre Familien zu Hause nicht überleben - und das Land wäre längst pleite.
"Landesverräter" mit großem Einfluss
Vom amtierenden sozialistischen und pro-russischen Staatschef Igor Dodon, dem großen Verlierer dieser Wahlen, wurde die rund Viertelmillion Moldauer, die fern ihrer Heimat in EU-Staaten abgestimmt haben, als "Landesverräter" beschimpft. Das verwundert kaum, denn über 90 Prozent von ihnen haben für Maia Sandu votiert. Und nicht nur das: Viele von ihnen konnten auch ihre zu Hause gebliebenen Verwandten, von denen viele bisher immer traditionell die "alte Garde" gewählt haben, davon überzeugen, diesmal der bekennenden Pro-Europäerin Sandu ihre Stimme zu geben. Die Wahlbeteiligung war trotz Corona beeindruckend.
Und jetzt? In einem DW-Interview vor der Stichwahl hat die neue Präsidentin ihre Prioritäten kurz und knapp umrissen: das Land aus der Armut herausholen und den Menschen eine Perspektive geben. Ob das gelingen wird, liegt nicht nur an ihr. Das Parlament in Chișinău wird von ihren sozialistischen Gegnern dominiert, das reformorientierte pro-westliche Lager ist zerstritten. Auch eine mutige Staatspräsidentin wie Maia Sandu kann gegen Armut, Korruption und alte Seilschaften allein nicht viel ausrichten.
Was sie jetzt sofort braucht, ist eine entschlossene Unterstützung des Westens - von EU und USA gleichermaßen. Vor allem die EU muss jetzt das Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau, das seit 2014 besteht, mit Leben erfüllen - und mit Geld. Deutschland als EU-Ratspräsident kann da viel bewegen. Das Land braucht Investitionen, das Land braucht Arbeitsplätze, damit Moldauer nach Hause kommen und sich am Aufbau ihres geschundenen Landes beteiligen. Dass sie sich dies wünschen, haben sie eindrucksvoll am Wahlsonntag gezeigt.
Der europäische Traum der Moldau
Aber die Republik Moldau braucht auch eine glaubwürdige politische Perspektive. Das jahrzehntelange Lavieren zwischen Ost und West, zwischen Moskau und der EU, hat tiefe Spuren hinterlassen. Russland hat trotz aller Abkommen immer noch Truppen in der separatistischen selbsternannten Republik Transnistrien und macht keine Anstalten, diese abzuziehen.
Knapp ein Viertel der Moldauer wünscht sich eine Wiedervereinigung mit dem westlichen Nachbarland Rumänien. Der abgewählte Präsident Dodon hat das im Vorfeld der Stichwahl eine "drohende Gefahr" genannt und deswegen vor sozialen Unruhen und sogar einem Bürgerkrieg gewarnt. Vor dem Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine und in Berg-Karabach sind solche Aussagen zynisch und verantwortungslos. Politiker wie Dodon gehören in die Mülltonne der Geschichte. Für immer. Die EU hat es in ihrer Hand, aus dem europäischen Traum der Moldau eine Erfolgsgeschichte werden zu lassen.