Wählen bis zur Ermüdung?
Der Wahltag ist in Israel - neben dem Unabhängigkeitstag Yom Hatzma'ut - so etwas wie der einzige nicht religiöse "Feiertag". Die meisten Menschen haben frei, die Kinder gehen nicht in den Kindergarten oder zur Schule und trotzdem sind - anders als an den hohen religiösen Feiertagen - Einkaufszentren und Eisdielen geöffnet. Üblicherweise herrscht an diesem Tag eine aufgeregt freudige Stimmung im Land.
Doch am Dienstag waren die Israelis nun schon zum vierten Mal in zwei Jahren dazu aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Und damit auch einen Premierminister, der aber seit nunmehr zwölf Jahren immer wieder der alte bleibt und außerdem seit über einem Jahr wegen Korruption angeklagt ist - Benjamin Netanjahu.
Eine politische Farce
Und so ließ die eher gedrückte Stimmung, die in Tel Aviv herrschte, bereits ahnen, was sich nun - da die meisten Stimmen ausgezählt sind - abzeichnet: Auch nach dieser Wahl wird sich keine klare Mehrheit finden. Netanjahu und seine sicheren Bündnispartner haben nicht genügend Mandate gewonnen. Aber auch Netanjahus Gegner gelingt das nicht.
Wäre das, was in Israel gerade vor sich geht, nicht so traurig - man müsste lachen über diese politische Farce. De facto steht aber nicht weniger als das auf dem Spiel, womit sich Israel gern rühmt: die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein. Denn Wahlen sind kein Selbstzweck. Am Ende muss eine Regierung stehen, die tatsächlich regiert. In der eine Partei (Netanjahus Likud) nicht mal eben einen neuen Haushalt blockiert, damit Benny Gantz nicht zum Premierminister wird (dieses Manöver machte diese Neuwahl). Das Volk immer wieder wählen zu lassen entwertet die Wahlen und verstellt den Blick darauf, dass hier tatsächlich etwas auf dem Spiel steht.
Es geht um nicht weniger, als um die Frage, wie Israel in Zukunft aussehen soll: Wie religiös soll das Land sein? Wie weit nach rechts soll Israel rücken? Und ja, auch: wie demokratisch will das Land in Zukunft noch sein?
Für oder gegen Netanjahu?
Im Wahlkampf aber schien es allzu oft nur noch um die Frage zu gehen: Bist Du für oder gegen Netanjahu? Von Friedensgesprächen mit den Palästinensern war - mit Ausnahme der Arbeitspartei - überhaupt keine Rede. Über Fragen des Sozialstaats und der extrem hohen Lebenshaltungskosten wurde kaum debattiert. Benjamin Netanjahu profitierte davon. Denn er konnte sich als Vater des israelischen "Impfwunders" inszenieren und von seinem Versagen in früheren Phasen der Corona-Pandemie ablenken.
Als Israels Präsident Reuven Rivlin seine Stimme abgab, drückte er aus, wie beunruhigt er sei. Wahlen seien "das Heiligste des Heiligen unserer Demokratie". Vier Wahlen in so kurzer Zeit schwächten den Glauben der Menschen in die demokratischen Prozesse. Und doch gebe keine andere Möglichkeit. "Geht wählen!", versuchte er die Bürger zu überzeugen.
Stark sinkende Wahlbeteiligung
Offenbar mit wenig Erfolg. Die Wahlbeteiligung war bei diesen Wahlen deutlich niedriger als bei den vorigen. Davon haben auch Parteien am Rande des politischen Spektrums profitiert, darunter die rechtsextreme und rassistische Partei "Religiöser Zionismus", in der es einige gibt, die eine jüdische Theokratie anstreben. Mit diesen antidemokratischen Kräften könnte Netanjahu eine Koalition eingehen - nur um Premier zu bleiben.
Dabei wären im politisch rechten Lager durchaus auch andere Mehrheiten möglich. Doch es gibt Parteien, die völlig zu Recht eine Zusammenarbeit mit - genau! - Netanjahu ausschließen. Die einzige Chance wäre also, dass sich die Parteien zusammenraufen, die den Langzeit-Premier aus dem Amt drängen wollen. Auch wenn sie inhaltlich extrem unterschiedlich sind - von rechtsnational bis links.
Eine fünfte Neuwahl binnen kürzester Zeit würde das Vertrauen in die Demokratie weiter beschädigen und könnte Extremisten stärken. Das wäre eine traurige Entwicklung für Israel.