In den Ruinen von Mossul, das die Mörderbande des "Islamischen Staats" vor wenigen Jahren zur Hauptstadt ihres Kalifats erklärte und aus dem die Ankündigung ihres Feldzugs gegen Rom kam, steht dieser alte Mann in Weiß und betet für den Frieden und für das Miteinander aller. Er knüpft an an die kleinen und doch so großen Geschichten von der gegenseitigen Hilfe von Christen und Muslimen, Muslimen und Christen beim Überleben und beim Wiederaufbau. Miteinander - in allem Leid, aller Verzweiflung. "Gemeinsam sagen wir NEIN zu Fundamentalismus, NEIN zu Sektierertum und NEIN zu Korruption."
Selten zuvor war der 84-Jährige, der einst als junger Mann Jesuit wurde, um als Missionar in den Fernen Osten zu ziehen und dort in riskanter Arbeit für das Evangelium einzustehen, so deutlich in der Rolle des Missionars und bedingungslosen Mahners zum Frieden. Dabei mutet er der christlichen Minderheit, die ja nur noch einen Bruchteil der Gemeinden von vor 20 oder 30 Jahren stellt, mit der Mahnung zur Vergebung und Gleichsetzung der Opfer manches zu. Bei der interreligiösen Feier in Ur sprach er ausdrücklich vom Leid aller ethnischen und religiösen Gemeinschaften in den Zeiten des Terrorismus und hob dann ausdrücklich nur die Jesiden, die Tötung tausender Männer, die Verschleppung und Versklavung von Frauen und Kindern hervor.
Die Vision des Franziskus für den Irak
Und in Karakosch, einem der Orte schlimmsten Leids von Christen bei der Erstürmung durch den IS, verband er sein "Nein" zum Terrorismus und zu jeder Instrumentalisierung von Religion mit der Bitte, ja Aufforderung zur Vergebung. "Ich weiß, dass das sehr schwer ist. Doch wir glauben daran, dass Gott den Frieden auf diese Erde bringen kann." Immer wieder: Vergebung, Geschwisterlichkeit, Koexistenz. Es bleibt die Vision des Franziskus für den Irak.
Das passt zu der Rolle, die der Papst - wie auch schon seine Vorgänger - im arabischen Raum hat: Da gilt er nicht nur als christlich-konfessioneller Führer, sondern als Autorität und herausgehobene religiöse Gestalt. Um so wichtiger, dass die Begegnung mit dem schiitischen Großajatollah Ali al-Sistani gelang. Fotos und kurze Videos zeigen zwei würdige alte Männer, der eine in einfachem Schwarz, der andere in einfachem Weiß. Und doch zeigt diese Szene der gesamten Region von der Türkei bis zum Atlantik, vom Indischen Ozean bis zum Mittelmeer, dass ein Miteinander möglich ist oder möglich sein soll. Franziskus war noch nicht wieder in Rom gelandet, da kündigte ein führender Schiiten-Vertreter aus Nadschaf bereits die baldige Reise einer Delegation nach Rom an.
"Gott ist barmherzig und die größte Beleidigung und Lästerung ist es, seinen Namen zu entweihen, indem man den Bruder oder die Schwester hasst. Feindseligkeit, Extremismus und Gewalt entspringen nicht einer religiösen Seele - sie sind Verrat an der Religion", erklärte Franziskus Stunden später in Ur, diesem "Quellort des Glaubens". "Wir Gläubigen dürfen nicht schweigen, wenn der Terrorismus die Religion missbraucht." Über viele Jahrzehnte war der Irak - wie auch andere Länder der Region - ein gefährdetes, aber funktionierendes Miteinander von vielen Religionen und Konfessionen. Darauf pocht Franziskus, darauf hofft er.
Irritierende Rolle der politischen Führung in Bagdad
Bei so viel Lob für diese Reise, für die großen Reden und kleinen Gesten ist der ein oder andere Hinweis erlaubt, zumal jeder einzelne nur darauf hinweist, wie heikel die Organisation dieser Reise gewesen sein muss. Da irritiert die Rolle der politischen Führung in Bagdad, deren Verhalten geradezu den Eindruck erweckte, als ob Franziskus nicht den Irak, diesen multireligiösen Vielvölker-Staat, sondern allein die Hauptstadt besucht hätte.
Als Franziskus nach Nadschaf und Ur aufbrach, anderntags nach Kurdistan, nach Mossul, Karakosch und Erbil, reiste, war kein hoher Repräsentant des Landes mehr zu sehen, kein Wort zu hören außer der schlagzeiligen Ankündigung, künftig den 6. März jährlich als "Tag der Toleranz und des Zusammenlebens" zu begehen. Dabei zeigten die vielen kleinen Beispiele, die Franziskus nannte, dass es auf Toleranz und Zusammenleben im Kleinen und im Alltag ankommt.
Die Erinnerung an Abraham hätte verbinden können
Und da bleibt das Fehlen jedes jüdischen Vertreters bei der interreligiösen Feier. Klar, Franziskus nannte die Juden explizit und sprach so, als stünden Juden mit auf dem Podium. Aber weder ein Mitglied der verschwindend kleinen jüdischen Gemeinde im Irak noch ein offizieller jüdischer Vertreter in der mitreisenden Delegation des Papstes stand in Ur in Chaldäa auf der Bühne, wo die Erinnerung an Abraham als Stammvater der monotheistischen Religionen Juden, Christen und Muslime hätte verbinden können. Auch da, hörte man am Rande der Reise, hätte die Zentralregierung gebremst.
Immerhin: Die Welt weiß jetzt wieder, wie sehr dieses Land Irak ein multireligiöses Land war und sein sollte. Daran weiter zu arbeiten, das hat Franziskus nicht nur den Christen, sondern allen Bewohnerinnen und Bewohnern und der politischen Führung aufgegeben.