Papst trifft im Irak schiitischen Großajatollah
6. März 2021Papst Franziskus und der schiitische Großajatollah Ali al-Sistani haben sich in der südirakischen Stadt Nadschaf zu einem privaten Gespräch getroffen. Der 90 Jahre alte Islam-Gelehrte verkörpert die moralische Autorität des Irak. Wie der Vatikan mitteilte, fand die mit großer Aufmerksamkeit erwartete Begegnung hinter verschlossenen Türen in der Residenz des Großajatollahs statt.
Das katholische Kirchenoberhaupt betonte bei der 45-minütigen Unterredung die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für den gesamten Nahen Osten. Zudem dankte der Argentinier dem 90-Jährigen für dessen stabilisierende Rolle in den vergangenen Jahren. Angesichts von Gewalt und Schwierigkeiten habe der muslimische Geistliche "seine Stimme zur Verteidigung der Schwächsten und Verfolgten erhoben", sagte Vatikansprecher Matteo Bruni. Darum sei Ali al-Sistani ein wichtiger Faktor für die Einheit des irakischen Volkes.
Millionen Anhänger
Großajatollah Al-Sistani hat Millionen Anhänger und genießt auch politisch Einfluss. Seine Reden finden im Irak große Resonanz. Er lebt jedoch zurückgezogen von der Öffentlichkeit. Seine Freitagspredigten lässt er verlesen.
Bis zuletzt blieb unklar, ob ein gemeinsames Schreiben der beiden Religionsführer zu erwarten ist. Franziskus hatte bereits im Jahr 2019 bei seinem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten ein gemeinsames Dokument mit dem sunnitischen Großimam Ägyptens, Ahmed al-Tajjib, und hohen religiösen Vertretern des sunnitischen Islams unterschrieben. Es trug den Titel "Die Brüderlichkeit aller Menschen - Für ein friedliches Zusammenleben in der Welt".
Treffen in der Stadt Ur
Nach dem Treffen mit dem Großajatollah reiste Franziskus weiter in die Ebene von Ur. Dort betete er für die Opfer des Krieges gegen den Terror. "Als der Terrorismus im Norden dieses werten Landes wütete, zerstörte er auf barbarische Weise einen Teil des wunderbaren religiösen Erbes, darunter Kirchen, Klöster und Gebetsstätten verschiedener Gemeinschaften", sagte Franziskus bei dem interreligiösen Treffen mit Christen, Muslimen, Juden und Jesiden am Samstag in Ur.
Der Ort ist symbolisch für die Religionen. Dem Alten Testament der Bibel zufolge stammt Abraham aus diesem Gebiet. Christen, Juden und Muslime sehen ihn als Stammvater an. Franziskus appellierte deshalb an die Gläubigen aller Religionen, "die Werkzeuge des Hasses in Werkzeuge des Friedens zu verwandeln". Es sei möglich, denn auch der Stammvater Abraham habe "gegen alle Hoffnung zu hoffen" gewusst. Der 84-Jährige forderte dafür konkrete Schritte.
Am Abend will das Oberhaupt der katholischen Kirche eine Messe in der chaldäischen Sankt-Josefs-Kathedrale in Bagdad feiern.
Jesiden begrüßen Papstbesuch
Die Jesiden in Deutschland werten die Reise von Papst Franziskus in den Irak als einen "Meilenstein" in der Geschichte des Landes. "Mit dem Papstbesuch wird die Welt noch einmal auf den Irak schauen, auf die Situation der Jesiden und Christen. Der Öffentlichkeit wird nicht entgehen, dass die Uhr für Christen und Jesiden im Irak auf eine Minute vor zwölf steht", erklärte der Vorsitzende des Zentralrates der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, in Düsseldorf.
Die Hauptverantwortung für die schlechte Lage der Jesiden liege nicht nur beim "Islamischen Staat", so Ortac. Irakische Politiker stellten sich "stumm, taub und blind, wenn sie auf die Verfolgung von Christen und Jesiden angesprochen" würden.
Franziskus war am Vortag in Bagdad eingetroffen. Es ist der erste Besuch eines Papstes im Irak überhaupt. Mit der Reise erfüllt er langjährige Hoffnungen der leidgeplagten christlichen Minderheit des Landes. Zum Auftakt forderte der 84-Jährige ein Ende der Gewalt. "Die Waffen sollen schweigen", sagte der Papst. Zugleich rief er Iraks Führung auf, allen religiösen Gruppen Rechte und Schutz zu gewähren. "Niemand darf als Bürger zweiter Klasse angesehen werden", sagte er.
Jubelnde Gläubige
In Bagdad empfingen ihn jubelnde Gläubige, die sich entlang der Straße aufgestellt hatten, oft dicht gedrängt. Im Vorfeld hatte es auch Kritik gegeben, weil der Papst das Land inmitten der Corona-Pandemie bereist. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen war im Irak in den vergangenen Wochen wieder deutlich gestiegen. Der Irak gehört zu den Ländern der Region, die am stärksten von der Pandemie getroffen werden.
Nadschaf, rund 150 Kilometer südlich der Hauptstadt Bagdad, ist ein wichtiges Zentrum des schiitischen Islam. Hier steht unter anderem die Imam-Ali-Moschee, wo der im Jahr 661 getötete Schwiegersohn des Propheten Mohammed, Ali, begraben sein soll. Auf ihn geht der schiitische Islam zurück, neben dem sunnitische Islam die zweite große Strömung der Weltreligion. Die Schiiten bilden die größte religiöse Gruppe im Irak.
Die Region des heutigen Iraks gilt als eines der ältesten Siedlungsgebiete des Christentums. Die immer wieder verfolgte christliche Gemeinde dort ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch stark geschrumpft. Vor allem in den Gebieten, die von der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) beherrscht wurden, litten die Christen und andere religiöse Minderheiten. Einst lebten mehr als eine Million Christen im Irak. Heute sind es nach Schätzungen noch 250.000 bis 400.000.
kle/se (kna, dpa, rtre, afpe, ape)