Was für ein Wochenende in der Fußball-Bundesliga! Besonders das Spiel von Meister Bayern mit drei Gegentoren binnen sechs Minuten bei Aufsteiger Bochum werden nicht nur die Fans der beiden Teams so schnell nicht vergessen. Dieses Jahrhundertspiel des Aufsteigers geht in die Geschichtsbücher der Bundesliga ein. Die Bayern mal "irdisch" zu sehen, gedemütigt von einem Team, dessen Spieleretat in etwa ein Fünfzehntel von dem des Rekordmeisters beträgt: Das tat - ohne jede Häme für den Rekordmeister - einfach mal gut. Und das geht wahrscheinlich den meisten Fußballfans in Deutschland so, außer denen des FC Bayern selbstredend.
Der Grund dafür ist nicht die Hoffnung auf einen spannenden Meisterkampf in der Bundesliga, denn dieser ist aus meiner Sicht trotz Siegen der Verfolger aus Dortmund und Leverkusen illusorisch. Es ist das Gefühl, das dieses Spiel vermittelt. Das Gefühl, dass die Bayern eben nicht unschlagbar sind, sondern dass sogar ein Aufsteiger wie Bochum dem Rekordmeister an einem guten Tag eine "Watschn" verpassen kann. Es ist das Gefühl, dass die Bundesliga wieder so werden könnte, wie sie einmal war. Auch wenn es lediglich ein Gefühl bleiben wird - machen wir uns nichts vor.
Es bleibt eine Momentaufnahme
Ich glaube aus unterschiedlichen Gründen nicht, dass dies nun der Auftakt für einen spannenden Meisterkampf war. Dafür sind die Bayern zu stark und zu professionell. Sie sind dem Rest der Liga fußballerisch einfach viel zu weit enteilt und werden die Niederlage ohne weiter Negativwirkung wegstecken, Tabellenschlusslicht Fürth wird das am nächsten Spieltag zu spüren bekommen. Und die Konkurrenz? Leverkusens aktuell starker Lauf begann einfach bei zu viel Rückstand, Borussia Dortmund hielt in dieser Saison zwar eine Weile Tuchfühlung mit den Bayern, präsentierte sich aber zuletzt wieder einmal viel zu wenig konstant.
Und trotzdem fühlte sich dieser Bundesliga-Spieltag ein wenig wie "früher" an, als vor einer Bundesliga-Saison eine ganze Handvoll Teams für den Titel in Frage kam und der FC Bayern am Saisonende auch mal auf Platz 6 landete. In Bochum fühlten sich alle an das Jahr 1976 erinnert. Damals schickte der VfL die großen Bayern sogar ohne Gegentreffer mit 4:0 in die Halbzeit-Pause, nur um das Spiel am Ende noch mit 5:6 zu verlieren - Fußballgeschichte. Und so schwelgten in Bochum und überall anderswo im Land die Fußball-Nostalgiker in Erinnerungen an die "guten alten Zeiten".
Veränderung ja, Aushöhlung nein
Damit kein Missverständnis entsteht: Dies ist kein grundsätzliches Plädoyer gegen Veränderungen und Entwicklungen. Veränderungen tun dem Fußball gut, das Spiel entwickelt sich taktisch, athletisch und ästhetisch weiter. Schauen Sie sich mal das WM-Finale von 1974 in voller Länge und dann beispielsweise das von 2018 an. Sie werden einen Unterschied feststellen.
Auch die Kommerzialisierung hat ihre Daseinsberechtigung, denn Wettbewerbsfähigkeit kann man nicht am Bratwurststand erwirtschaften. Doch wo Spieler neben dem Platz mehr als Werbe-, als als Identifikationsfigur wahrgenommen werden, die Liga ständig betont, "neue Märkte" erschließen zu müssen und dafür möglicherweise bereit wäre, Bundesliga-Spiele in Saudi-Arabien und sonstwo stattfinden zu lassen, da ist die Aushöhlung des Fußballs längst Realität. Dass Fans da den Fußball seiner Seele beraubt sehen und sich immer weiter entfernen, ist alles andere als überraschend.
Am Scheideweg?
Jüngst kam die Diskussion um die Einführung eines Playoff-Systems in der Bundesliga nach Vorbild des US-Sports auf. Zunächst kam mir diese Idee interessant vor, denn sie könnte das bringen, was sich so viele Fußballfans in Deutschland sehnlich wünschen: Einen anderen Meister als Bayern München, das über die Distanz von 34 Spieltagen seit bald zehn Jahren schlicht nicht zu schlagen ist. Doch der Gedanke führt am Kernproblem der Liga vorbei, denn der Wunsch vieler ist nicht die Veränderung des Spielmodus und damit eine möglicherweise einhergehende Neuordnung der Chancenverteilung. Der Wunsch ist eine ausgeglichene Liga nach bewährtem System. Mit Meistern wie Bremen, Dortmund, Stuttgart, dem HSV und natürlich auch dem FC Bayern - nur eben nicht immer.
"Ich bin dagegen", sagte Union Berlins Präsident Dirk Zingler angesprochen auf die Playoff-Diskussion am Rande des Spiels seiner "Eisernen" gegen Dortmund. Man müsse "nichts reparieren, was nicht kaputt ist" und er "verstehe die Diskussion gar nicht". Und auch er verwies natürlich auf das Spiel, das aus Sicht vieler für einen Moment die "gute alte Bundesliga" zurückbrachte - wenn auch nur im Kopf: "Ich habe den gestrigen Spieltag gemocht, da hat man keine Dominanz von Bayern gesehen." Ich möchte Herrn Zingler ausdrücklich zustimmen und vermute, dass ich damit nicht alleine bin.