Es gibt Regime, in denen Oppositionelle vergiftet werden. Das Ziel solch mörderischer Aktionen ist klar: Die unliebsame Person wird zum Schweigen gebracht und unter den Mitstreitern Angst geschürt. Aber auch in Demokratien arbeiten Regierende mit Gift. Es handelt sich dabei allerdings nicht um chemische Substanzen, denen einzelne Menschen zum Opfer fallen. Das Gift wirkt schleichend, ist für Einzelne nicht tödlich, zerstört aber die Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Was damit gemeint ist, zeigen zwei Beispiele aus den vergangenen Tagen: Als Donald Trump bei seinem Besuch im kalifornischen Katastrophengebiet mit Bemerkungen konfrontiert wurde, dass die Waldbrände sehr wohl mit steigenden Temperaturen und damit mit dem menschengemachten Klimawandel in kausalem Zusammenhang stünden, sagte der US-Präsident lakonisch: "Es wird wieder kühler werden. Sie werden schon sehen." Er glaube nicht, "dass die Wissenschaft wirklich Ahnung hat".
Glauben statt wissen - Willkür statt Recht
Während der notorische Lügner Trump seinen privaten Glauben über die systematischen Erkenntnisse der Wissenschaft stellt, will sein Ziehsohn im Geiste, Boris Johnson, das Recht in einer zumindest in der jüngeren britischen Geschichte einzigartigen Weise beugen: Er legte dem Unterhaus ein Gesetz vor, das gegen rechtlich bindende Bestimmungen der Austrittsvereinbarung mit der EU verstoßen würde, die er selbst ausgehandelt hatte. Das Entsetzen eines Großteils der Öffentlichkeit und vier seiner Amtsvorgänger ignorierte er.
Was das Ganze mit Gift zu tun hat? Populistische Politik, für die Trump und Johnson geradezu paradigmatisch stehen, zersetzt die Grundlage demokratischer Gesellschaften - ihre Wirkung ist geradezu toxisch. Denn Demokratien beruhen auf dem rationalen Diskurs über eine Wirklichkeit, die von allen Beteiligten anerkannt wird. Aus diesem Diskurs erwachsen in anerkannten Verfahren rechtlich verbindliche Entscheidungen - oft sind das für alle Beteiligte schmerzhafte Kompromisse.
Akademische Kompetenz gegen dumme Aussage
Populisten bekämpfen diese Grundlagen auf allen Ebenen: Sie leugnen die Realität so lange, bis eine argumentative Auseinandersetzung nicht mehr möglich ist. Ganze Bibliotheken wissenschaftlicher Studien über den Klimawandel stehen dann auf einer Ebene mit dem arrogant-strohdummen Satz "es wird wieder kühler werden." Die gleiche Methode lässt sich auf die Corona-Pandemie anwenden: Der Satz Trumps, "das Virus wird irgendwann einfach verschwinden" folgt der gleichen irrsinnigen Logik. Wo Fakten standen, regieren nun Meinungen.
Und wenn das alles nicht hilft, werden Gesetze und Abkommen einfach ignoriert. Der aktuell geplante Bruch der EU-Verträge ist nicht Johnsons erster Versuch, das Recht zu beugen. Vor ziemlich genau einem Jahr versuchte er, das aufsässige Unterhaus in eine Zwangspause zu schicken und wurde erst vom Obersten Gericht gestoppt. Es bleibt abzuwarten, ob ihm Justiz oder Parlament vom neuerlichen Rechtsbruch abhalten.
Das Gift wirkt
Wie toxisch jahrelange populistische Herrschaft wirkt, sieht man derzeit in den USA. Wenn eine sachliche Auseinandersetzung zwischen Demokraten und Republikanern immer weniger möglich wird, wenn es ernsthafte Gedankenspiele gibt, dass das Ergebnis der Präsidentenwahl im November nicht anerkannt werden könnte, wenn bewaffnete Milizen in den Straßen patrouillieren, dann ist es bis zum geistigen Bürgerkrieg nicht mehr weit.
Populismus vergiftet also ganze Gesellschaften - sei es in den USA, Großbritannien, Polen oder Ungarn. Und führt die jeweiligen Staaten näher an diejenigen, in denen Oppositionelle ganz buchstäblich vergiftet werden.