Der Beginn der 2020er-Jahre wird uns nicht nur in Erinnerung bleiben, weil er den Beginn der Pandemie markiert, die unser Leben seitdem maßgeblich prägt. Es ist auch der Zeitpunkt, an dem die Masse der menschengemachten Dinge erstmals die Masse aller Lebewesen dieser Erde übertrifft.
Das heißt: Die Menge an Plastik, Häusern, Maschinen und anderen toten Artefakten ist schwerer als die aller Tiere, Pflanzen, Pilze und Bakterien. Und die Autorinnen und Autoren der Studie des israelischen Weizmann-Instituts prognostizieren, dass die Waage in den kommenden Jahren weiter zu Ungunsten des Lebens ausschlägt.
Ein-, zweimal getragen, dann weg damit
Was das konkret heißt, kann man sich etwa in der Atacama-Wüste anschauen. In dem chilenischen Naturparadies werden tausende Tonnen gebrauchte, aber auch neue, unverkaufte Kleidungsstücke entsorgt. Sie wurden größtenteils in China produziert, in Europa und Nordamerika konsumiert und nach ein- oder zweimaligem Tragen weggeworfen.
Einer der bestimmenden Player dieses Fast-Fashion-Marktes ist der chinesische Konzern Shein, dessen Unternehmenswert auf rund 30 Milliarden US-Dollar geschätzt wird. Jeden Tag kommen 500 neue Produkte in das Sortiment. Doch hinter dem schönen Schein dieser Ex-und-Hopp-Geldmaschine liegt nicht nur ein riesiger Müllhaufen. Shein wird darüber hinaus vorgeworfen, die Designs anderer Marken hemmungslos zu kopieren und seine Arbeitskräfte mit 75-Stunden-Wochen und Hungerlöhnen auszubeuten.
Doch warum funktioniert ein solcher Wahnsinn so gut? Warum sind wir dafür anfällig, obwohl wir uns innerhalb weniger Minuten über die destruktiven Auswirkungen für Mensch und Umwelt informieren können - und zwar auf denselben Plattformen, auf denen Influencer die Wegwerf-Mode präsentieren?
Es geht um nachhaltiges Konsumverhalten
Es geht ja nicht darum, sich niemals wieder neue Kleidungsstücke zu kaufen. Es geht vielmehr um ein nachhaltiges Konsumverhalten. Denn das, was Bundeskanzler Olaf Scholz "die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit 100 Jahren" genannt hat, ist mit einem "weiter so" nicht zu erreichen.
Der Philosoph und Kulturkritiker Walter Benjamin hatte recht, als er kurz vor seinem Tod schrieb: "Dass es 'so weiter' geht, ist die Katastrophe. Sie ist nicht das jeweils Bevorstehende, sondern das jeweils Gegebene." Doch warum kommen wir aus diesem Teufelskreis anscheinend nicht heraus?
Der Soziologe Harald Welzer konstatiert in seinem Buch "Nachruf an mich selbst", dass unsere Kultur kein Konzept für das Aufhören hat. Auf die gegenwärtigen Herausforderungen von Klimawandel und Artensterben versuchen wir lediglich, mit Innovationen zu reagieren, statt mit einer Post-Wachstumsökonomie. Dabei ist dem Klima nicht geholfen, wenn man den benzinbetriebenen Kleinwagen durch einen Elektro-SUV ersetzt, der dann am Ende mit Braunkohle-Strom betrieben wird. Sondern, indem man einfach weniger fährt - auch wenn das weder den Autobauern noch manch grün angestrichenem Yuppie gefallen mag.
Es geht darum, vom "Weiter so" Abstand zu nehmen, auch wenn man einfach mal damit anfängt, einen Pullover nicht zu kaufen und stattdessen den alten aufzutragen. Damit ist schon einmal ein Anfang gemacht.