Osakas Tränen - Schwäche zeigen!
17. August 2021Den großartigen Fußballer Uwe Seeler haben die Menschen in der Bundesrepublik irgendwann "Uns Uwe" getauft. In leichter Verbiegung der deutschen Sprache gelang es, deutlich zu machen: Das ist einer von uns. Guter Mann. Eigentlich bis heute. "Uns Uwe" ist inzwischen 84.
Die Stunde der Niederlage
Und das, obwohl die ikonographischen Bilder den bodenständigen Fußballer aus Hamburg in der Stunde der Niederlage zeigen. Seeler verlässt am 30. Juli 1966 den Platz im alten Wembley-Stadion in London; die Engländer haben das WM-Finale gewonnen, unverdient, wie viele deutsche Fans bis heute denken. Wembley-Tor, der Ball war nicht hinter der Linie, die Älteren erinnern sich, als wäre es gestern gewesen.
Was das mit der Tennisspielerin Naomi Osaka zu tun hat, die seit Monaten mit angegriffener Psyche und der Vermeidung von Journalisten-Fragerunden auffällt? Nun, nachdem ihr Management den Naomi-Hype bei den Olympischen Spielen noch ein wenig höher drehen wollte, kommt der nächste "Shocking moment" von Naomi. Auf einer Routine-Pressekonferenz in Cincinnati kommen ihr die Tränen. Zugegeben, die Reporterin hatte gerade nach der Erdbebenkatastrophe in Haiti gefragt, der Heimat von Naomis Vater Leonard Francois. Aber eigentlich hatte die junge Frau auf dem Podium den Kopf bereits vorher gesenkt, die Augen hinter ihrer Kappe verborgen.
Präsenz on screen
Schon als sich Osaka bei den French Open vor der Presse zurückzog, maulten einige Berichterstatter und verwiesen darauf, dass Sportstars auch den Rückenwind der Medien nutzen, dass Sponsoren für die Präsenz on screen bezahlen, dass sie nicht selten auch eigene Anliegen platzieren. Aber hier geht es um eine ganz andere Geschichte.
Osaka hat bei den Olympischen Spielen in Tokio zwar die Fackel bei der Eröffnungsfeier getragen, aber keine Medaille mitnehmen können. Interessant: Ebenfalls in Tokio musste die vielfach erfolgreiche US-Turnikone Simone Biles zurückziehen und war am Ende glücklich, beim Einzelwettbewerb am Schwebebalken eine Bronze-Medaille zu gewinnen. Konstanze Klosterhalfen, deutsche Leichtathletin mit zweifelhafter Einbindung in das Nike-Trainingsteam, wurde über 10.000 Meter in Tokio ... Achte. Nach einer Verletzungssaison. Nach dem Zieleinlauf fängt Klosterhalfen an zu weinen und hört gar nicht mehr auf. "Ich bin so dankbar, dass ich hier sein darf", sagt die schlanke Sportlerin.
Wir alle, die Fans, die Journalisten, die Öffentlichkeit, könnten nun lernen, dass Heldinnen und Helden fehlbar sind. Dass Goldfavorit Jens Vetter auch mal keine Medaille mitnimmt, wenn die Bahn für den Speerwerfer zu rutschig ist. Oder, außerhalb der Olympia-Kampfbahn? Dass Sebastian Vettel kein Weltmeister wird, wenn das Auto langsam oder anfällig ist. Dass Thomas Müller den Ball im EM-Achtelfinale gegen England (die nun wieder ....) zwar an Torwart Jordan Pickford vorbeibringt, aber eben auch am Tor selbst. Aus, aus, aus. Deutschland ist ... ausgeschieden. Ein paar Tage später werden die Engländer im entscheidenden Moment den Kasten nicht treffen.
Commitment
Ja und? Junge Fußballer werden sich trotzdem weiter das Bayern-Trikot von Müller zum Geburtstag wünschen. Junge Mädchen in den USA oder in Japan dürften weiterhin der coolen Naomi nacheifern, die so gnadenlos den Ball prügeln kann. Und die Kids werden ihre Idole auch dann noch lieben, wenn diese Schwäche zeigen. Warum? Weil sie sich bekennen, weil sie für ihren Sport leben, weil sie über den Tellerrand hinausblicken. Manchmal kann dieses Bekenntnis - im Englischen gibt es das schöne Wort commitment - bis an die Grenze gehen. Der jungen Naomi Osaka, an Politik und Menschenrechten ebenso interessiert wie an Musik und Mode, wünscht man, dass ihr Manager Stuart Duguid im Vermarktungskonzern IMG die damit verbundene Gefahr erkennt.