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Politik

Myanmar - Die große Ernüchterung

10. November 2020

Nach fünf Jahren unter Führung von Aung San Suu Kyi ist deutlich geworden: Demokratie ist kein Zaubermittel, das die Probleme des Landes schlagartig löst. Gebt dem Realismus eine Chance, meint Rodion Ebbighausen.

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Myanmar Aung San Suu Kyi
Bild: Getty Images/AFP/Ye Aung Thu

Der Kontrast könnte kaum größer sein. Als Aung San Suu Kyi und ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), 2015 die Wahl gewannen, herrschte im Land und im Rest der Welt Euphorie. Die Herrschaft des Militärs schien überwunden, das Volk hatte dem Autoritarismus eine Absage erteilt, eine rosige demokratische Zukunft erwartete das Land.

Fünf Jahre später ist davon wenig geblieben. Nach der Wahl vom Wochenende, die erwartungsgemäß Aung San Suu Kyi bestätigt hat, ist nahezu niemand mehr begeistert. Die Erwartungen sind gedämpft und in den internationalen Medien stieß der Urnengang kaum auf Interesse.

Demokratisierung mit angezogener Handbremse

Die vergangenen fünf Jahren haben gezeigt, dass das Einwerfen eines Wahlzettels kein Zaubertrick ist, der die Probleme des Landes auf einen Schlag löst.

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DW-Redakteur Rodion EbbighausenBild: DW

Die von den Militärs mit der Verfassung von 2008 entworfene "disziplinierte Demokratie" hat die Tür für die demokratische Transformation nur einen Spalt weit geöffnet. Die Generäle achten darauf, dass nach ihren Regeln gespielt wird, und die NLD weiß, dass die Militärs die Tür jederzeit wieder zuschlagen können. Es handelt sich also um eine Transformation mit angezogener Handbremse.

Die ethnischen Minderheiten, die neben Militär und Zivilregierung das dritte Machtzentrum des Landes bilden, mussten erkennen, dass die NLD nicht bereit ist, auf sie zuzugehen. Die Folge: Der notwendige Friedensprozess hat keinerlei Fortschritte gemacht. Mehr als 70 Jahre Bürgerkrieg werden nicht durch eine Wahl und auch nicht durch die charismatische Strahlkraft einer Aung San Suu Kyi beendet. Stattdessen sind ernsthafte und langwierige Verhandlungen darüber notwendig, wie ein föderales Myanmar aussehen könnte, in dem auch die Minderheiten eine Stimme haben.

Fünf enttäuschende Jahre

In der Wirtschaftspolitik, wo die Erwartungen ebenfalls groß waren, wurde schnell deutlich, dass eine Wahl zwar die Abgeordneten legitimiert, sie deswegen aber nicht automatisch zu Experten in der Sache werden. Selbst große asiatische Unternehmen wie Samsung haben sich aus Myanmar zurückgezogen, abgeschreckt von Bürokratie, Überregulierung und Reformstau. Die Fixierung der NLD auf alte Vertraute und die Weigerung externe Expertise einzuholen, haben den Wandel massiv ausgebremst.

Für demokratische Staaten und zahllose Nichtregierungsorganisationen und Aktivisten, die sich jahrzehntelang für Aung San Suu Kyi und die Öffnung des Landes eingesetzt hatten, war die Vertreibung von etwa 700.000 Rohingya seit August 2017 besonders schockierend. Dass Aung San Suu Kyi dann auch noch persönlich zum Internationalen Gerichtshof in Den Haag gekommen ist, um das Land und das Militär gegen den Vorwurf des Genozids zu verteidigen, ließ viele ihrer Bewunderer fassungslos zurück. Sie hatten fälschlicherweise geglaubt in Aung San Suu Kyi jemanden gefunden zu haben, der ihre Vorstellungen von Demokratie und Menschenrechten teilt. Sie hatten zugleich den in Myanmar weit verbreiteten Rassismus, die Islamophobie und den Chauvinismus unterschätzt.

Mehr Realismus wagen

Auf die große Euphorie folgte die große Verdammung. Aung San Suu Kyi wurden Dutzende Preise aberkannt. Staats- und Regierungschefs, die sich früher um ein Foto mit Aung San Suu Kyi rissen, machen heute einen weiten Bogen um sie. Länder wie Deutschland haben ihre Entwicklungszusammenarbeit stark zurückgefahren. Myanmar sei ein hoffnungsloser Fall, sagen viele frühere Unterstützer von Suu Kyi.

Doch die Enttäuschung von heute ist auch die Folge der maßlosen Erwartungen von damals. Die Euphorie hat den Blick auf die Probleme verstellt, so wie heute die allgemeine Verdammung den Blick auf die Chancen trübt. Die Mehrheit im Land will, dass der Transformationsprozess weitergeht. Sie ist für die Wahldemokratie, was die hohe Wahlbeteiligung - trotz COVID-19 - belegt. Das Militär und die Minderheiten haben den Wahlprozess weder blockiert noch boykottiert, sie spielen also mit.

Statt großer Sprünge sind nur kleine Schritte zu erwarten, obendrein drohen auch immer wieder Rückschritte und Abwege. 50 Jahre Militärherrschaft, 70 Jahre Bürgerkrieg und tief sitzende Vorurteile lassen sich nicht über Nacht abschütteln. Myanmar ist ein schwieriger, aber kein hoffnungsloser Fall.

Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia