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Lasst Euch impfen! Jetzt!

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper
16. November 2021

Deutschland rauscht mit voller Wucht in die vierte Corona-Welle. Vor allem, weil sich viele Deutsche immer noch nicht impfen lassen wollen. Oliver Pieper hat die Nase voll.

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Rückenansicht des schwarzen T-Shirts eines Impfgegners mit der Aufschrift "Nicht getestet, geimpft und genesen, aber gesund"
Weder geimpft noch genesen, aber trotzdem gesund - diese Leute werden gerade weniger. Die Infektionszahlen der Ungeimpften steigen starkBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Meine jüngste Tochter hatte neulich Geburtstag. Im Leben vor Corona war das immer ein Freudenfest, jetzt ist es ein wenig kompliziert. Ein Gast war noch nicht geimpft, und als Vater hat man dann die Wahl, als obervorsichtiger Spießer oder als Corona-Verharmloser dazustehen. Ich entschied mich für ersteres. Ob ein Selbsttest reichen würde? Ich bestand auf einem PCR-Test.

Kurz bevor die Party steigen sollte, meinte meine Tochter zu mir, ihre ungeimpfte Freundin wäre im Anflug, hätte aber das Testergebnis vergessen. Hat sie den Test überhaupt gemacht, habe ich mich direkt gefragt? Dann sollen mir doch bitte ihre Eltern das Testergebnis per WhatsApp zuschicken. Taten sie tatsächlich. Was für Zeiten: Ich fühlte mich zwar ein wenig wie ein Stasi-Mann oder Blockwart, war aber halbwegs zufrieden, das Virus erfolgreich an der Haustür abgewehrt zu haben.

Meine Geduld geht rapide gegen Null

Wer mehrfacher Vater ist, dem gibt der liebe Gott ein ganze Menge Gedulds-Gene frei Haus mit auf den Weg - sie reichen ein ganzes Leben lang. Am Ende kann sich der Nachwuchs eigentlich fast alles erlauben. Spätestens bei diesem Geburtstag merkte ich aber, dass meine Geduld mit den Impfgegnern rapide gegen Null geht. Ich wohne im Rheinland, wo eben jeder Jeck anders ist, wie man hier sagt. Aber ich für meinen Teil fühle, dass es jetzt reicht. Deutschland steckt in der vierten Corona-Welle, Teil IV eines Films, der noch deprimierender als seine Vorgänger ist, weil er in meinen Augen eigentlich gar nicht hätte gedreht werden müssen. Den Impfgegnern sei Dank.

Oliver Pieper Kommentarbild
DW-Redakteur Oliver Pieper

Bill Murray entflieht im Film-Klassiker "Und ewig grüßt das Murmeltier" der Zeitschleife, weil er sich von einem Kotzbrocken zu einem guten Menschen entwickelt. Ich fürchte, wenn die ganze Corona-Dauerschleife vorbei ist (sofern sie überhaupt einmal endet), werde ich tendenziell ein schlechterer Mensch sein. Ich ertappe mich dabei, nach Fernseh-Talkshows mit Impfskeptikern stundenlang auf Twitter herumzusurfen, um den Tweet zu finden, der diese Schwurbler am zynischsten und sarkastischsten aufs Korn nimmt.

Immerhin habe ich in den vergangenen Monaten verstanden, dass man kein Wissenschaftler oder gar Virologe sein muss, um vor einem Millionenpublikum mehr oder minder gehaltvoll über das Virus sprechen zu dürfen. Es reicht schon, Schauspieler zu sein, weil die ja in ihren Filmen auch so schlaue Sachen sagen. Der Unterschied ist nur: Dort haben sie ihren Text auswendig gelernt und die meisten Sätze stammen auch gar nicht von ihnen. Da bleibt dann schon mal verborgen, dass sie vielleicht selbst gar nicht die hellste Kerze auf der Torte sind. Sie merken schon - ich rege mich wieder auf!

Jedes halbe Jahr der gleiche Text

Haben Sie mit Impfgegnern zu tun, in ihrem Familien- oder Freundeskreis? Ich zum Glück nicht. Gut, ein Freund aus Argentinien schickte mir neulich ein Video über das vermeintliche Teufelszeug Impfung. Keine Ahnung, was er von mir erwartete. Vielleicht, dass ich sage "Mensch, Du hast recht, endlich hat es jemand erkannt, warum bin ich nicht selbst schon längst darauf gekommen?" Stattdessen schrieb ich ihm, ob er jetzt auch im Team der Idioten mitspielen würde. Und dass ich ihn sehr schätze, dass wir aber, um Freunde zu bleiben, das Thema Corona und Impfungen in Zukunft tunlichst meiden sollten. Um keine gesellschaftlichen Nachteile zu erfahren, hat er sich übrigens in Patagonien ein Impfzertifikat erschlichen. Soviel zum Thema Prinzipienfestigkeit.

Vor ein paar Tagen bekam ich den Auftrag zu einem Text, warum ausgerechnet wir Deutschen, die vermeintlichen Organisations-Weltmeister, das Virus partout nicht in den Griff bekämen. Mir fiel auf, dass ich quasi den gleichen Text schon im Frühjahr geschrieben habe, als uns auch die dritte Welle komplett überforderte. Nächstes Frühjahr werde ich ihn garantiert noch einmal schreiben müssen. Denn wenn Deutschland weiter so beherzt gegen das Virus ankämpft wie gegenwärtig, gehen wir in die Nachspielzeit, die Verlängerung und auch noch ins Elfmeterschießen.

Hartnäckige Klischees

Das Ausland wundert sich schon über uns, übrigens auch nicht zum ersten Mal: Wie, die Deutschen haben genug Impfstoff, lassen sich aber nicht impfen? Was irgendwie auch eine gewisse Ironie hat, denn normalerweise sind wir es ja, die mit überheblicher Attitüde auf unsere europäischen Nachbarn herabschauen. Hach, die Italiener. Au weia, diese Spanier. Und die Franzosen erst.

Apropos Ausland: alle paar Monate ruft mich ein argentinischer Radiosender an, um zu fragen, wie Deutschland sich in der Corona-Pandemie schlägt. Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie lange sich so ein guter Ruf hält. Selbst wenn wir Deutschen auch noch von der achten Corona-Welle überfordert sind, denken viele Menschen 10.000 Kilometer entfernt, wir wären immer noch das Land, das für jedes Problem zügig eine Lösung findet. Eigentlich heißt es ja: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Wenn man über das Deutschland von heute berichtet, ist es anders: Man kann so oft die Wahrheit erzählen, wie man will - im Ausland wird einem trotzdem nicht geglaubt, dass in Deutschland längst nicht mehr alles reibungslos klappt.

Aktuell stehen wir im Kampf gegen Corona jedenfalls nicht gut da. Und ich befürchte, das bleibt noch ziemlich lange so - bestimmt bis zum nächsten Geburtstag meiner Tochter. Wenn Ihr das lest, Impfgegner, und es Euch zum Nachdenken anregt, dann lasst Euch bitte einfach pieksen. Ihr dürft dann auch gerne zur Feier kommen.

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur