Raus aus der Kernenergie nach Fukushima 2011, raus aus der Kohle bis 2030, massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, dem Klimaschutz zuliebe: Deutschland hat unter der derzeitigen Regierung (und hatte unter den Vorgängerkabinetten) ehrgeizige Pläne zum Umbau der Energieversorgung. Fast verschämt wurde dabei stets auf die Rolle von Gas als "Brückentechnologie" verwiesen. Mit anderen Worten: Man braucht noch Gas in Deutschland, zum Heizen, in der Industrie, zur Stromerzeugung. Aber nicht mehr lange, so jedenfalls war der Plan. Aber der stammt aus einer anderen, vergangenen Zeit. Aus einer Zeit, in der blind auf Russland als Gaslieferant Nummer Eins vertraut wurde.
Der lahme Ausbau von Wind- und Solarenergie
Erst jetzt wird so richtig deutlich, dass vor allem wichtige Teile der Industrie auf viel Gas angewiesen sind, etwa die Glasherstellung. Von den Unternehmen hört man zwar immer öfter, dass auch sie auf grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft setzen, aber vieles daran ist eben noch genau das: Zukunftsmusik. Grün ist der Wasserstoff eben nur, wenn auch er durch Wind- oder Sonnenstrom hergestellt wird. Also: Alles hängt am raschen und intensiven Ausbau der Erneuerbaren. Aber genau der war in den vergangenen Jahren eher lahm. Vieles ist schief gelaufen bei der Energiewende, aber diese Erkenntnis hilft in der jetzigen Situation wenig.
Es entspricht der aggressiven Logik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit fadenscheinigen Vorwänden die Gasversorgung zu kappen. Dennoch wollte auch die neue Bundesregierung lange nicht wahrhaben, was jetzt Tatsache ist: Es droht der Gasnotstand. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hatte schon vorher viele Grundsätze über Bord geworfen, hatte im Emirat Katar etwa für Flüssiggaslieferungen geworben. Jetzt plant die Regierung, Kohlekraftwerke aus der Reserve zu holen. Sie sollen zusätzlichen Strom liefern, damit das so eingesparte Gas für den Winter quasi zurückgelegt werden kann. Das klingt schon ganz nach Notstand und ist wohl auch so. Und der Klimaschutz gerät in den Hintergrund. Aber im Moment ist dieser Schritt trotzdem richtig.
Gleichzeitig entbrennt in der Regierungskoalition, vor allem zwischen Grünen und FDP, eine heftige Debatte über die drei noch in Deutschland am Netz befindlichen Atomkraftwerke. Sie liefern noch rund fünf Prozent des Stromes und sollen eigentlich Ende des Jahres endgültig abgeschaltet werden. Technisch ist ein Weiterbetrieb wohl möglich, aber mit erheblichem Aufwand verbunden, vor allem finanziell. Und die drei Werke bräuchten weitere Brennelemente, die nicht einfach schnell irgendwo verfügbar sind. Selbst die Stromunternehmen, die die Kernkraftwerke besitzen, winken ab und sprechen von einer nach hinten gerichteten Debatte. Aber richtig ist, dass zumindest für eine Übergangszeit alle Optionen auf den Tisch müssen.
Ein klares Wort des Kanzlers
Für eine parteipolitische Abrechnung aber ist die Lage zu ernst. Richtig wäre es jetzt, den Menschen klar zu machen, um was es geht, sie zum Energiesparen aufzufordern, sie auf harte Zeiten einzustimmen. In Ansätzen passiert das schon, aber ein klares Wort des Kanzlers an die Bevölkerung wäre nicht schlecht. Es hilft ja nichts. Und mittel- und langfristig gibt es nur den Weg, jetzt mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien wirklich ernst zu machen. Deutschland hat kaum eigene fossile Energiequellen. Und ein langfristiger Weiterbetrieb von Braunkohlekraftwerken macht alle Klimaschutzbemühungen zunichte.
Es ist alles ziemlich viel auf einmal. Erst die Pandemie, dann der Krieg mit Inflation und horrend steigenden Energiepreisen, jetzt der drohende Gasnotstand. Aber Deutschland als Hochtechnologieland steht noch gut da, verglichen mit vielen Ländern der Welt im Hungernotstand. Jetzt, endgültig, muss die Energiewende durchstarten. Es gibt nur diesen Weg, sich unabhängig zu machen. Von fossilen Energieträgern, von Klimabelastungen, von Russland. Wer, wenn nicht Deutschland, soll das schaffen können?