Deutschland will den Ökostrom
6. April 2022Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat das vom Kabinett verabschiedete sogenannte Osterpaket als "größte energiepolitische Gesetzesnovelle seit Jahrzehnten" bezeichnet. "Das Osterpaket ist Teil unserer Agenda und ist in den letzten Monaten unter Hochdruck erarbeitet worden", erklärte Habeck am Mittwoch. Die Maßnahmen seien ein "Beschleuniger für den Ausbau der erneuerbaren Energien".
Mit dem Gesetzespaket werden verschiedene Energiegesetze, darunter auch das EEG, umfassend abgeändert, um den Ausbau der Erneuerbaren zu beschleunigen. "Wir werden den Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch innerhalb von weniger als einem Jahrzehnt fast verdoppeln", erklärte Habeck. Zudem soll die Geschwindigkeit beim Ausbau verdreifacht werden. Dazu sollen die erneuerbaren Energien künftig als "im öffentlichen Interesse" eingestuft werden, die Erneuerbaren dienten zudem "der öffentlichen Sicherheit". Im Jahr 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Energien bei 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs liegen - bislang gilt hier ein 65-Prozent-Ziel. Um das zu erreichen, sollen mehr Projekte für Wind- und Solarenergie ausgeschrieben und die Verfahren beschleunigt werden.
Das auf den Weg gebrachte Gesetzespaket dient nach Habecks Worten auch sicherheitspolitischen Interessen. Der Ukraine-Krieg habe deutlich vor Augen geführt, dass Energiepolitik auch Geopolitik sei, sagte der Grünen-Politiker. Das Paket sei auch als Antwort auf die sicherheitspolitischen Interessen zu verstehen. Dies seien die Unabhängigkeit von Importen fossiler Energieträger aus Russland und dann von fossilen Energieträgern insgesamt
Die Ausgangslage
Bis 2030 will Deutschland den Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringert haben. Bis zum Jahr 2021 waren es erst 39 Prozent. Maßgeblich dafür ist Kohlendioxid (CO2), das vor allem durch Verbrennung von Gas, Öl und Kohle oder deren Produkten entsteht. Das Tempo der Emissionsminderungen muss sich laut Klimaminister Habeck bis 2030 daher verdreifachen.
Der Ökostrom-Anteil am Strommix stieg in den 22 Jahren seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2020 auf rund 42 Prozent. Nun soll sich ihr Anteil binnen acht Jahren fast verdoppeln auf 80 Prozent im Jahr 2030. Die tatsächliche Stromerzeugung aus Erneuerbaren muss laut Klimaministerium sogar auf mehr als das Zweieinhalbfache steigen. Denn der Stromverbrauch dürfte 2030 durch die geplante Elektrifizierung in Industrie, Haushalten und im Verkehr deutlich höher liegen. Rund 600 Terawattstunden Öko-Strom sollen es 2030 demnach sein. 2021 waren es gut 233 Terawattstunden.
Um das zu schaffen, hebt die Regierung die Ziele für den Ausbau von Windkraft und Solarenergie deutlich an. 2030 sollen Windräder an Land mit einer Gesamtleistung von 115 Gigawatt Strom liefern sein. Das ist mehr als eine Verdoppelung, 2020 betrug die installierte Leistung an Land gut 54 Gigawatt. Die Ausbaugeschwindigkeit beim Wind muss sich verfünffachen: Ab 2025 sollen jährlich Windräder an Land mit einer Leistung von zehn Gigawatt gebaut werden - 2021 waren es knapp zwei Gigawatt. 2030 sollen es auf See 30 Gigawatt sein - eine Vervierfachung gegenüber dem Stand von 2020 mit 7,75 Gigawatt. Auch bei der Solarenergie aus Photovoltaik-Anlagen etwa auf Dächern und freien Flächen sollen sich die Ausbauraten deutlich beschleunigen - auf einen Zubau von jährlich 22 Gigawatt ab 2026. Im Jahr 2021 waren es gut fünf Gigawatt. 2030 sollen dann eine Gesamtleistung von 215 Gigawatt installiert sein.
Wie der Umbau gelingen soll
Um nicht nur Ziele anzuheben, sondern auch deren Erreichung zu unterstützen, sind zahlreiche Maßnahmen vorgesehen, unter anderem:
- Vorrang für Erneuerbare: Im Gesetz wird festgelegt, dass die Nutzung Erneuerbarer Energien "im überragenden öffentlichen Interesse" liege und der öffentlichen Sicherheit diene. Das soll Genehmigungsverfahren und gerichtliche Entscheidungen beschleunigen - vor allem gegen Windräder wird oft geklagt.
- Die Ausschreibungsmengen für Wind- und Solarkraft werden deutlich erhöht. Auch Kommunen und private Hauseigentümer sollen davon stärker finanziell profitieren: "Neue Dachanlagen, die ihren Strom vollständig in das Netz einspeisen, erhalten wieder eine angemessene Förderung von bis zu 13,8 Cent/kWh", heißt es in dem Reuters vorliegenden EEG-Entwurf. "Dies reizt zugleich die optimale Ausnutzung der Dachflächen an." Bisher rechnen sich private Photovoltaik-Anlagen in der Regel nur, wenn ein Teil des Stroms selbst verbraucht wird - bei derzeitigen Strompreisen von teils über 40 Cent pro Kilowattstunde um so mehr. Wind- und Solarprojekte für Bürgerenergiegesellschaften werden von Ausschreibungen ausgenommen und sollen so unbürokratischer möglich sein. Die finanzielle Beteiligung der Kommunen an Wind- und Solarprojekten werde weiterentwickelt.
- Vor allem für Windkraft auf See werden die Bedingungen bei den Ausschreibungen verändert, um eine größere Ausbau-Dynamik zu erreichen. Ausschreibungen für zentral voruntersuchte Flächen werden vorgezogen. "Für zentral voruntersuchte Flächen erfolgt der Zuschlag in der Ausschreibung an den Bieter mit dem geringsten anzulegenden Wert für einen Differenzvertrag (Contracts-for-Difference) mit zwanzigjähriger Laufzeit", heißt es zudem in der Novelle des Windenergie-auf-See-Gesetzes. Bisher garantierte Abnahmepreise für den Strom verlieren für Investoren angesichts der gestiegenen Marktpreise an Bedeutung. Daher sollen Differenzverträge hohe Renditen teilweise abschöpfen.
- Der Strom-Netzausbau wird beschleunigt: "Es werden 19 neue Netzausbauvorhaben aufgenommen und 17 Netzausbauvorhaben geändert. Ein Vorhaben wird gestrichen", heißt es im Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts.
Noch nicht enthalten sind in dem Paket zahlreiche Maßnahmen, die erst in einem Sommerpaket kommen sollen. Dazu könnte die Umsetzung der jüngsten Vereinbarung der Koalition zählen, den Abschied von der Gas-Heizung vorzuziehen und massiv zu fördern. Auch eine der wichtigsten Voraussetzungen für den Ausbau der Windkraft fehlt noch: Über das geplante Ziel, zwei Prozent der Bundesfläche für Windenergie bereitzustellen, verhandelt Habeck noch mit den Bundesländern. Auch das angekündigte Klimaschutz-Sofortprogramm etwa für den Gebäude- und den Verkehrsbereich steht noch aus.
hb/tk (afp,epd,rtr)