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Politik

Kasachstan bremst Moskaus Aggression

Wirtschaftskolumnist der Deutschen Welle Andrey Gurkov
Andrey Gurkov
6. Januar 2022

Die Krise in Kasachstan macht einen Krieg in der Ukraine unwahrscheinlicher. Wenn der Kreml daran festhielte, die Ukraine "zurückholen" zu wollen, liefe er Gefahr, Kasachstan "zu verlieren", meint Andrey Gurkov.

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Kasachstan Almaty | Proteste & Ausschreitungen
Wütende Demonstranten protestieren gegen die Regierung in KasachstanBild: Pavel Mikheyev/REUTERS

Die Massenproteste in Kasachstan haben kurzzeitig die für Europa wichtigste geopolitische Frage der vergangenen Wochen überlagert: Droht ein großer Krieg Russlands gegen die Ukraine?

Diese Frage wird zwar bald wieder im Vordergrund stehen, hat aber im Moment durch die Krise beim großen zentralasiatischen Nachbarn Russlands schlagartig an Brisanz verloren.

Die Folge: Kasachstan hat eine russische Militäroperation auf ukrainischem Gebiet weniger wahrscheinlich gemacht. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens könnte ein russischer Militäreinsatz zu innenpolitischen Turbulenzen in Russland wie in Kasachstan führen. Zweitens muss der Kreml sich nun verstärkt um Kasachstan kümmern.

Nur scheinbar stabil

Der völlig unerwartete landesweite Aufstand der kasachischen Bevölkerung mit schweren Ausschreitungen und zahlreichen Toten dürfte einen starken Eindruck in Moskau hinterlassen haben. Galt Kasachstan doch bislang als ein zuverlässig regiertes und durchaus stabiles Land.

Das Gleiche galt lange für Belarus -  bis dort 2020 Revolution und Repression ausbrachen. Diese Ereignisse in zwei postsowjetischen Staaten mit vergleichbarer autoritärer Regierungsstruktur legen den Schluss nahe, dass der Kreml tunlichst alles vermeiden sollte, was eine ähnliche Entwicklung auch in Russland hervorrufen könnte.

Gurkov Andrey Kommentarbild App
DW-Redakteur Andrey Gurkov

Minsk, Almaty, und dann Moskau?

Eine großangelegte Militäroperation des Kremls gegen die Ukraine mit unklaren Zielen und vielen toten Soldaten könnte auch in Russland zu einem Auslöser von Massenunruhen werden. Insbesondere, wenn die von den USA und der EU für diesen Fall angedrohten weitreichenden Sanktionen zu einem starken Anstieg der ohnehin horrenden Verbraucherpreise oder gar zu Versorgungsengpässen führen sollten.

Vor dem Hintergrund einer heranziehenden Omikron-Welle und eines stark überlasteten russischen Gesundheitssystems erscheint dieses Szenario noch bedrohlicher als es ohnehin schon ist.

Innenpolitische Auswirkungen

Mit anderen Worten: Der massive Wutausbruch der frustrierten kasachischen Bevölkerung hat gezeigt, dass der Kreml viel mehr die innenpolitischen Risiken angedrohter oder vermeintlicher Militäroperationen berücksichtigen sollte, mit denen er die USA und die NATO einzuschüchtern zu versucht.

Bislang, so schien es, wurden hauptsächlich außenpolitische und außenwirtschaftliche Aspekte eines solchen Unterfangens ins Kalkül genommen. Angesichts der Krise in Kasachstan werden sich in Moskau Zweifel am Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verstärken, und das dürfte die Lust an einem tatsächlichen und nicht rein propagandistischem Ukraine-Feldzug dämpfen.

Der Kreml muss sich nun verstärkt um Kasachstan kümmern. Denn dieser Staat ist einer der wenigen reellen russischen Verbündeten und Integrationspartner im postsowjetischen Raum und auf der internationalen Bühne.

Aufmerksamkeit für Almaty

Das Land befindet sich im Umbruch. Die Einflussnahme auf diesen bestimmt schwierigen und unübersichtlichen politischen Prozess wird Moskau viel Aufmerksamkeit, Bemühungen und Zeit abverlangen.

Besonders jetzt, wo Russland auf Bitten des kasachischen Präsidenten Qassym-Schomart Tokajew sogar Truppen ins Nachbarland geschickt hat – für unbestimmte Zeit und mit schwer kalkulierbaren Folgen. Das ist eine völlig neue Wendung, die noch vor wenigen Tagen niemand vorhersehen konnte.

Riskanter "Zweifronten-Einsatz"

Wenn sich der Kreml in dieser Situation allzu sehr dem illusorischen Vorhaben hingeben sollte, die Ukraine "zurückzuholen", würde er Gefahr laufen, Kasachstan "zu verlieren". Außerdem würde er dem russischen Militär und der Bevölkerung einen "Zweifronten-Einsatz" zumuten.

Man sollte meinen, dass Pragmatismus und politischer Selbsterhaltungstrieb der russischen Führung stark genug sind, um ein solches Szenario zu verwerfen. Was nicht heißt, dass Moskau damit aufhört, das Schreckgespenst eines großen Krieges gegen die Ukraine an die Wand zu malen. Man will ja schließlich bei den bevorstehenden Verhandlungen mit dem Westen möglichst viel für sich herauszuholen.