Buchmesse bitte ohne rechte Verlage!
21. Oktober 2021Hurra! Die Buchmesse ist wieder da - mit echten Ausstellern und echtem Publikum. Ein gelungener Neustart nach der pandemiebedingten Zwangspause ist das aber noch lange nicht. Eine Kontroverse um rechte Verlage auf der Messe macht allen Feierwilligen einen Strich durch die Rechnung. Und das ist gut so.
Jasmina Kuhnke will sich nicht damit abfinden, dass Rechtsextreme ihre Parolen auf der gleichen Buchmesse verbreiten, auf der die Autorin und Aktivistin ihren Debutroman "Schwarzes Herz" vorstellt. In ihrem Buch erzählt sie von rassistischen Anfeindungen, denen sie und ihre Familie in Deutschland ausgesetzt war. Kuhnke, geboren 1982 im westfälischen Hagen, ist ein person of color, ein Mensch mit dunkler Hautfarbe. Auf Twitter publiziert sie unter ihrem Künstlernamen "Quattromilf."
Neben ihr kein Platz für Nazis
Eine junge Autorin also, die wenige kennen, hat eine Veranstaltung auf der Frankfurter Buchmesse abgesagt, so what? Doch ihr Kommen war im Vorfeld nicht angekündigt worden - aus Sorge, es könnte zu Übergriffen von Rechtsextremen kommen. Vorher hatte der rechte Verleger Philip Stein öffentlich die Abschiebung von Kuhnke verlangt. Auf diese Bedrohung reagierte die Autorin mit ihrer Absage, aber mehr noch mit der Begründung dafür.
Neben ihr sei kein Platz für Nazis, schreibt sie. Sie empfinde es als untragbar, Nazis Raum zu bieten, sich darstellen zu dürfen. Messedirektor Jürgen Boos begründet die Zulassung des rechten Verlages "Jungeuropa" mit der Meinungsfreiheit. "Solange die Meinung nicht gegen Gesetze verstößt, muss jeder am Meinungsaustausch auf der Messe teilnehmen können", so Boos. Für die Sicherheit aller Messeteilnehmenden sei gesorgt.
Das ist ein krudes Verständnis von Meinungsfreiheit. Was Boos einfordert, ist Toleranz gegenüber Intoleranten. Mehr noch: Er verlangt das von den Opfern dieser Intoleranz, konkret: von einer Autorin, die wegen ihrer Dunkelhäutigkeit von Rechten angefeindet wird und sich - wohl nicht zu Unrecht - bedroht sieht. "Ich bedauere sehr, dass die Autorin nicht an diesem Diskurs teilnimmt." Dieser Satz von Boos klingt geradezu zynisch.
Man kann der Autorin kaum vorwerfen, dass sie sich um größtmögliche Aufmerksamkeit bemühte. Die hat sie bekommen. Klug gewählt war gewiss auch der Zeitpunkt ihrer öffentlichkeitswirksamen Absage: Lange wurde in Deutschland nicht mehr so intensiv über Dekolonisierung, Rassismus und Genderfragen diskutiert wie derzeit. Und dafür gibt es Gründe.
Einer ist der erstarkte Rechtsterrorismus in Deutschland, mit der langjährigen Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), dem Attentat auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (2015) oder dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (2019).
All das ist Realität in Deutschland. Und sie schreit geradezu nach zivilgesellschaftlichem Widerstand, nach eben jener Abwehrhaltung, wie sie Kuhnke jetzt gezeigt hat. Dabei drängt sich die Frage auf: Darf es die Mehrheitsgesellschaft allein den Angehörigen von Minderheiten überlassen, gegen Rassismus und Diskriminierung und Ausgrenzung vorzugehen? Wohl kaum. Es sollte Anliegen aller sein.
Respekt für Jasmina Kuhnke
Richtig ist auch: Deutschland ist auf dem Weg zu einer multikulturellen, multiethnischen, multireligiösen und vielgeschlechtlichen Gesellschaft. Nicht jeder hat das kapiert oder ist bereit, das anzuerkennen. Am allerwenigsten die sogenannten Rechten, deren Gesellschaftstauglichkeit an ihrem Menschenbild zu messen ist.
Ein Menschenbild, das Geflüchteten ein Recht auf Asyl abspricht, das den demokratischen Staat und seine Repräsentanten verachtet. Ein Menschenbild auch, das geschichtsvergessen den ethischen Konsens Deutschlands verneint, eines Landes, das sich nach dem Supergau des Nationalsozialismus in der deutschen Geschichte mit viel Mühe in die zivilisierte Weltgemeinschaft zurück gekämpft hat.
So hat das, was jetzt eine junge schwarze Autorin getan hat, unseren Respekt verdient. Kuhnke steht für eine junge selbstbewusste Generation, die - vielfach unterschätzt - über unsere Werte nachdenkt und das Ergebnis auf die Agenda bringt. Wir sollten Menschen wie ihr dankbar sein.
Und noch eines, an die Adresse all jener, die denken, der Aufschrei gegen die Präsenz rechter Verlage auf der Buchmesse sei ein geschickter Marketing-Schachzug einer literarischen Newcomerin: Nicht Kuhnkes kleiner Tweet, nicht die scheinbar unbedeutende Absage einer unbekannten Autorin hat diesen Skandal ausgelöst. Es war die Notwendigkeit, in dieser Gesellschaft über Ungerechtigkeit und Ausgrenzung nachzudenken, die Fakten zu benennen und zu einem gesellschaftlichen Konsens zu finden, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen.