Ein Sieg der Populisten
Seit 2015 ist die Europäische Union beim Thema Flüchtlingspolitik tief zerstritten und verfeindet. Zuletzt hatte der Brand im Lager Moria ein scharfes Licht auf die dysfunktionalen Regeln geworfen. Jetzt macht die EU-Kommission einen weiteren Anlauf mit einem neuen Migrationspakt. Es ist eine Art letzter Versuch, aber gleichzeitig eine Bankrotterklärung.
Dies sei ein "neuer frischer Start", verspricht die Kommission, eine "europäische Antwort auf eine gemeinsame Herausforderung", ein Vorschlag für ein "zuverlässiges Managementsystem" für Flüchtlingsströme. Die Behörde in Brüssel entfacht ein ungeheures Wortgeklingel, um alten Wein in neuen Schläuchen zu verkaufen.
Lauter alte Bekannte
Man trifft eine Menge alter Bekannter: Den besseren Schutz der Außengrenzen etwa, der ja auf See so schwer umzusetzen ist, wenn das Versenken von Flüchtlingsbooten durch internationales Recht verboten ist. Und die Zäune entlang der alten Balkanroute sind ja bereits gebaut, nur dass die Schlepper die Migranten seitdem eben in Lastwagen stecken.
Oder die EU-Taskforce-Einheiten, bestehend aus Grenzpolizisten, Juristen, Übersetzern und anderen Helfern, die Mitgliedsländer unterstützen sollen, wenn plötzlich zu viele Flüchtlinge ankommen. Eigentlich hätte so eine Gruppe auch in Moria tätig sein sollen - was ist da schief gegangen?
Und dann die Schnellentscheidungen an den Grenzen für Migranten aus Ländern mit niedriger Anerkennungsquote. Davon träumt Brüssel seit Jahren, und die Idee ist noch immer an der juristischen Realität gescheitert. Nach welchem Rechtssystem wird da entschieden? Gibt es eine Berufung? Wer stellt die Richter?
Dublin-Regeln "schlafen gelegt"
Schließlich noch ein alter Bekannter: Die Abschiebung, die unter "Rückführung in die Herkunfts- und Transitländer" firmiert. Zwei Drittel der in Europa eintreffenden Migranten hätten kein Recht auf Asyl, erklärt die zuständige EU-Kommissarin. Und sie redet einmal mehr über Abkommen mit Drittländern, denen man es irgendwie schmackhaft machen will, ihre Bürger zurück zu nehmen. Das versucht die EU seit Jahren, und es hat noch nie richtig geklappt. Warum sollte es künftig funktionieren?
Eine Crux der bisherigen Politik waren die sogenannten Dublin-Regeln, wonach das Ersteinreiseland für ankommende Migranten zuständig ist. Dagegen protestieren die Staaten an der südlichen Außengrenze wie Italien, Griechenland und Spanien schon seit langem.
Ende der Umverteilung
Jetzt will man diese Regeln zwar nicht abschaffen, aber die Kriterien erweitern: Wer Familienmitglieder in einem anderen EU-Land hat, soll etwa dorthin gebracht werden. Was bedeutet, dass Länder, in denen schon viele Flüchtlinge leben, automatisch noch weitere dazu bekommen. Fraglich, wie begeistert Skandinavien oder Deutschland diese Idee aufnehmen werden.
"Wir legen die Dublin Regeln schlafen", erklärte die Kommission zu dieser Idee. Was einfach bedeutet, dass man sie ein Stück weit aushebelt, weil man sich nicht auf neue Vorschriften einigen kann.
Der Kern des neuen Migrationspaktes aber ist das Ende der Umverteilung. Brüssel hat eingesehen, dass man die Osteuropäer nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen zwingen kann und kapituliert vor dieser Aufgabe. Das ist ein schöner Sieg für Populisten von Schlage Viktor Orbans. Der entblödet sich übrigens nicht, das irre rechtsradikale Propagandamärchen vom "Austausch der Bevölkerungen", dem systematischen Ersatz christlicher Ungarn durch muslimische Migranten, erneut aufzukochen.
Abschieben statt Aufnehmen
Stattdessen gibt es einen sogenannten Solidaritätsmechanismus: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, kann sich stattdessen mit ihrer Abschiebung beschäftigen. Wie das praktisch funktionieren soll, ist nicht ganz klar. Aber diese Aufgabe könnte zwischen Warschau, Prag und Budapest sehr beliebt werden.
Was aber soll die anderen Mitgliedsländer unter diesen Umständen dazu veranlassen, nicht den gleichen Weg zu gehen und ihre "Solidarität" nicht ebenso bei der Rückführung zu zeigen? Wer soll unter diesen Umständen überhaupt noch Flüchtlinge aufnehmen wollen?
Der Vorschlag aus Brüssel ist eine Kapitulationserklärung gegenüber den Populisten und verschafft ihnen einen unverdienten Sieg. Und was darin ganz fehlt, ist das Wort Humanität. Hier triumphiert das Management von Migration über die Menschlichkeit.